Fotografie in Lübeck 1840 – 1945

Die Ausstellung im Museum Behnhaus Drägerhaus Fotografie in Lübeck 1840 – 1945 präsentiert rund 450 historische Aufnahmen zur Lübecker Zeitgeschichte: Portraits, Straßenansichten, Fotos vom Rathaus, Holstentor und Burgtor, den Lübecker Kirchen sowie Presse- und Kunstfotografie.

Arbeiten von achtzig Fotografen, darunter Joseph Wilhelm Pero, Johannes Nöhring, Albert Renger-Patzsch und unbekannte Fotografen. Die Schau dokumentiert aber auch die technische Entwicklung der Fotografie, angefangen bei der Daguerreotypie, der Kalotypie, über Fotografie im Visitenkartenformat "Cartes-de-Visite" bis hin zur Farbfotografie Anfang des 20. Jahrhunderts.

Die Erfolgsgeschichte der Fotografie begann vor über 170 Jahren. Im August 1839 stellte die Französische Akademie der Wissenschaften in Paris die Erfindung der Fotografie durch die Franzosen Joseph Nicéphore Niépce und Louis Jacques Mandé Daguerre vor. Das nach Daguerre benannte Verfahren wurde von der französischen Regierung angekauft und der Öffentlichkeit zur freien Nutzung geschenkt. Der Siegeszug des neuen Mediums "Fotografie" verbreitete sich von Frankreich ausgehend auch nach Lübeck.

Aus dem umfangreichen Archiv der Hansestadt Lübeck und der Sammlung Lübecker Museen konnten Kurator Dr. Jan Zimmermann und Museumsleiter Dr. Alexander Bastek nur einen Bruchteil historischer Fotografien auswählen. Darunter Fotos, die jetzt zum ersten Mal öffentlich ausgestellt sind. "Fotografie galt in der Sammlung der Lübecker Museen bislang meist als topografisches oder kulturhistorisches Dokument. Dabei hatte Carl Georg Heise bereits in den 1920er Jahren den Wert der Fotografie als Kunst erkannt und die Fotosammlung in dieser Richtung bedeutend erweitert", erklärt Alexander Bastek. "Wir wollen mit dieser Ausstellung nun einen umfassenden Einblick in die Lübecker Fotosammlung geben: von Stadtansichten und Porträts über Perlen der Fotogeschichte bis zur Kunstfotografie der 1920er Jahre."

Zu den "Perlen der Fotogeschichte" gehören ohne Zweifel die Daguerreotypien unbekannter oder ortsansässiger Fotografen im ersten Ausstellungsraum. Zu sehen sind unter anderem Fotoarbeiten von Joseph Wilhelm Pero, dem ersten niedergelassenen Fotografen in Lübeck. Darunter Portraitaufnahmen von Konsul Peter Hinrich Rodde, Senator Dr. Hermann Wilhelm Hach, Gruppenfotos der Familie Hach und von Adolf und Betty Wehrmann - eines von zwei Plakatmotiven der Sonderausstellung. Hinzu kommen Fotografien historischer Bauwerke: die Marienkirche, das Burgtor, das Lübecker Rathaus. Daguerres photographisches Verfahren hatte allerdings keine Zukunft, denn die Nachteile der Daguerreotypie waren die aufwendige und teure Herstellung sowie die aus technischen Gründen spiegelverkehrte Wiedergabe. Zudem waren die Bilder Unikate und konnten nicht beliebig vervielfältigt werden.

Das sollte sich mit der Erfindung des Engländers William Henry Fox Talbot ändern. Um 1840 entwickelte er das Negativ-Positiv Verfahren, Kalotypie später Talbotypie genannt, das eine Überarbeitung der Bilder und beliebig viele Kontaktabzüge auf Papier ermöglichte: auf Salzpapier (um 1855 bis 1860), Albuminpapier (um 1860 bis 1880), Kollodiumpapier (um1870 bis 1900) und ab 1900 Abzüge auf Silbergelatinepapier. Für die ersten Fotoaufnahmen benötigte der Fotograf eine große, schwere Plattenkamera auf Stativ, bei der für jedes Bild eine neue Platte aus Kupfer oder Glas in die Kamera eingelegt wurde. Ende der 1880er Jahre brachte der Amerikaner George Eastman eine Boxkamera mit Strippingfilm, Rollfilm, auf den Markt, die er unter dem Namen Kodak Nr. 1 vermarktete. Die Kamera war einfacher zu bedienen und bot die Möglichkeit, mehrere Bilder hintereinander aufzunehmen und den Film im Labor zu entwickeln. Mit der technischen Weiterentwicklung der Fotoapparate und der Entwicklung des neuen Agfacolor-Farbfilms um 1930 wurde die Fotografie zu einer Art "Volkssport" für jedermann.

Neben Portraitaufnahmen des gehobenen Bürgertums Portrait der Familie Geibel, Portrait Carl Boy und Ida Boy-Ed, finden sich in der Ausstellung eine große Anzahl von Fotografien der städtischen Gesellschaft. Julius Appel, der über 50 Jahre als Fotograf in Lübeck tätig war, fotografierte Polizei und Feuerwehrleute, Handwerker und Dienstmädchen, Lübecker Waisenkinder, aber auch geschichtliche Ereignisse: den Beginn des Ersten Weltkriegs, die Machtübernahme der Nationalsozialisten, die brennende und zerstörte Marienkirche nach dem Bombenangriff im März 1942.



Johannes Nöhrung: Sturmflut/Ostsee

Johannes Nöhring gehört zu den großen Lübecker Fotografen. 1861 eröffnete er ein Fotoatelier und später einen fotografischen Verlag in der Hansestadt. Bekannt wurde er als Fotograf von Lübecker Stadtimpressionen und historischen Gebäuden, Außenaufnahmen und Innenräumen von Kirchen in Lübeck und anderen Städten sowie antiken Sehenswürdigkeiten in Rom. Im November 1872 dokumentierte er mit der Kamera die Zerstörungen der Sturmflut an der Ostsee. Bedeutend für Lübeck war und ist Nöhring als Kunstfotograf. Er fertigte fotografische Reproduktionen von den Malereien Friedrich Overbecks und wirkte als Fotograf und Verleger an der Inventarisierung Lübecker Kunst- und Kulturgüter mit. 1906 erschien Bau- und Kunstdenkmäler der Hansestadt Lübeck, der erste von der Lübecker Baubehörde herausgegebene Band im Johannes Nöhring Verlag. Kommerziell folgte Nöhring allerdings dem Modetrend. Er produzierte Cartes-de-Visite-Fotografien und Kabinettfotos von Lübeck sowie später, mit dem Erfolg der Ansichtskarte Ende des 19. Jahrhunderts, Postkarten mit eigenen Motiven aus der Hansestadt und Travemünde, Eutin, Ratzeburg und Mölln.

Ein Highlight der Schau ist die "Sammlung Lübecker Zeitgenossen" von Robert Mohrmann: Ein Panorama der Lübecker Gesellschaft, entstanden in den Jahren 1910 bis 1930. Mohrmann portraitierte Bürgermeister und städtische Angestellte, Ärzte, Kaufleute und Handwerker, jüdische und christliche Repräsentanten, Politiker der SPD und der NSDAP - allerdings nicht in seinem Atelier sondern im beruflichen Umfeld der Protagonisten. Dreißig dieser unschätzbaren Zeitdokumente präsentiert jetzt das Behnhaus Drägerhaus.



Robert Mohrmann: Johanna und Gustav Weiland, 1929

Mit mehreren Fotoarbeiten sind die Brüder Hermann und Carl Linde vertreten. Ihre Portraits und Architekturfotografien werden ergänzt durch Aufnahmen aus dem familiären Umfeld. So zeigt zum Beispiel das um 1900 aufgenommene Foto die vier Söhne von Dr. Max Linde. Es korrespondiert mit dem im Nebenraum hängenden Gemälde von Edvard Munch, der diese Kinder drei Jahre später malte.

Eine Besonderheit der Lübecker Ausstellung sind Fotografien im Visitenkartenformat "Cartes-de-Visite", auf Karton aufgezogene Papierfotografien im standardisierten Format von etwa sechs mal zehn Zentimeter. Erfinder der sogenannten Visitenkartenportraits war der Pariser Fotograf André Adolphe-Eugène Disdéri, der um 1860 eine Spezialkamera mit vier Objektiven und einer verschiebbaren Plattenkassette entwickelte. Dank der Mehrfachoptik konnte ein Motiv mehrere Male auf einer Glasplatte aufgenommen werden. Dadurch reduzierten sich die Kosten für die Portraitfotografie erheblich und waren auch für ein breites Publikum bezahlbar. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es in Mode, kleinformatige Portraits sowie Stadtansichten zu verschenken und in Fotoalben zu sammeln. Schöne Beispiele sind die "Cartes-de-Visite" von Carl Linde und Johannes Nöhring.

Ist Fotografie Kunst? Oder ein Handwerk? Jahrzehnte musste die Fotografie um ihre Anerkennung als künstlerisches Genre kämpfen. Erst mit der "Weltausstellung der Fotografie" 1964 wurde die Fotografie als Kunstform anerkannt. Ganz anders in Lübeck, wo bereits in den 1920er Jahren der damalige Museumsdirektor Carl Georg Heise die Fotografie als künstlerische Darstellungsform und eigenständige Kunstgattung erkannte. Aus Heises umfangreicher Sammlung präsentiert die Schau im letzten Ausstellungsraum zeitgenössische Fotokunst,unter anderem Fotografien von Hans Finsler, Willy Zielke, Emil Otto Hoppé.



Blick in die Holstenstraße, 1887, unbekannter Fotograf

Bemerkenswert sind die Fotoarbeiten von Albert Renger-Patzsch, Mitbegründer der "Neuen Sachlichkeit" in Deutschland. 1927 hatte Renger-Patzsch im Behnhaus seine erste Ausstellung. Ein Jahr später publizierte Heise Die Welt ist schön, ein für die Neue Sachlichkeit wegweisendes Buch. Renger-Patzschs fotografische Bildmotive erfassten Pflanzen und Landschaften, Stadtansichten, Architektur und Fabrikanlagen, Maschinen und Industrieprodukte: eine Kolbenfräsmaschine in den Zündapp Werken, das Zink-Wannenlager der Krauss-Werke, Holzstämme vor der Wallhalbinsel.

Die beeindruckende und hervorragend kuratierte Ausstellung Fotografie in Lübeck 1840 – 1945 eröffnet dem Besucher einen Blick in die Lübecker Sammlung und in die technische und bildkünstlerische Entwicklung der Fotografie.

Empfehlenswert ist der von Alexander Bastek und Jan Zimmermann herausgegebene, reich illustrierte Katalog, der im Museum erhältlich ist. (Michael Imhof Verlag, Petersberg, Mai 2016)

Die Ausstellung ist bis zum 28. August 2016 im Museum Behnhaus Drägerhaus zu besichtigen. Die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr.

 


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