Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag, 1906, Kunstsammlungen Böttgerstraße, Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen

Paula Modersohn-Becker
Der Weg in die Moderne

Das Bucerius Kunst Forum in Hamburg beginnt das Ausstellungsjahr 2017 mit einer bemerkenswerten Schau über Paula Modersohn-Becker, eine der ungewöhnlichsten Künstlerinnen um die Jahrhundertwende.

Rund achtzig Werke, darunter Malereien, Zeichnungen und Drucke, belegen ihre eigenwillige Bildsprache und ihren avantgardistischen Malstil, welche die Bildtraditionen des Impressionismus in Frage stellten. Als „Malweib“ und als Frau sprengte sie die gesellschaftlichen Verhaltensnormen ihrer Zeit.

Paula Becker, im Februar 1876 in einem bürgerlich-liberalen Bremer Elternhaus geboren, macht zunächst eine Ausbildung als Lehrerin. Nebenbei nimmt sie privaten Malunterricht. Nach dem Examen entscheidet sie sich für eine künstlerische Ausbildung in Berlin. Da Frauen im deutschen Kaiserreich aufgrund ihres Geschlechtes ein Studium an der Königlichen Akademie der Künste verwehrt war, stehen ihr nur Damenmalschulen, Privatunterricht sowie Kunstvereine für Frauen als Ausbildung zur Verfügung.

Paula Modersohn-Becker, 1901Paula Modersohn-Becker, 1901Nach Abschluss ihrer Malstudien in Berlin siedelt sie 1898 in die Künstlerkolonie Worpswede über, einem kleinen Dorf östlich von Bremen. Ihre Malerkollegen Fritz Mackensen, Hans am Ende, Otto Modersohn und Heinrich Vogeler widmen sich der Malerei "En plein air", der Freiluftmalerei. Sie malen Heide- und Moorlandschaften, den weiten Horizont und das flirrende Licht. „Die Natur ist unsere Lehrerin und danach müssen wir uns richten“, so Otto Modersohn 1889.

Einige von Paula Beckers naturalistischen Moor- und Birkenlandschaften entstehen, darunter "Moorgraben", in kräftigen Grün-, Blau- und Erdtönen. Dennoch ist sie unzufrieden. Auf der Suche nach einem eigenen Malstil, eigenen Farben und neuen Bildformen fährt sie im Januar 1900 zum ersten Mal für fünf Monate nach Paris. Paris, das damalige Mekka der zeitgenössischen Avantgarde, ist für sie nicht nur ein Ort der Inspiration, sondern auch ein Ort, wo es bereits akademische Malklassen für Frauen gibt. Neben den Malkursen besucht sie das ägyptische Museum und studiert dort Mumienporträts, entdeckt die Alten Meister im Louvre und die französischen Impressionisten. „Ich fühle jetzt Liebermann, Mackensen und Consorten. Sie alle stecken noch viel zu sehr im Konventionellen. Unsere ganze deutsche Kunst“, schreibt sie im Mai 1900 an Otto Modersohn. Zurück in Worpswede heiratet sie den inzwischen verwitweten Modersohn, der die dreijährige Tochter Elsbeth mit in die Ehe bringt.

Neben ihrer Rolle als Ehefrau, Hausfrau und Mutter steht für sie die eigene künstlerische Karriere im Vordergrund, die sie konsequent verfolgt. Immer wieder setzt sie sich kritisch mit ihrer Malerei auseinander: „[…] ich träume von einer Bewegung in der Farbe, von einem gelinden Schlummern, Vibrieren, ein Schlummern des einen Gegenstandes durch den anderen“, schreibt sie 1902 in ihr Tagebuch. Im Februar 1903 folgen die zweite Parisreise und zwei Jahre später eine erneute Reise nach Paris. „Paris ist für mich die Stadt. Schön und sprudelnd und gährend und man selbst taucht ganz darin unter“, heißt es in einem Brief von 1905.

Kopf eines kleinen Mädchens mit Strohhut, um 1904, Kunst- und Museumsverein WuppertalKopf eines kleinen Mädchens mit Strohhut, um 1904, Kunst- und Museumsverein Wuppertal

Nicht die französischen Impressionisten wie Pierre-Auguste Renoir, Claude Monet oder Edgar Degas, sondern die Newcomer der Pariser Kunstszene Pablo Picasso, Paul Cézanne und Paul Gauguin beeinflussen ihre Bildsprache nachhaltig: Ihre Farben werden intensiver; ihr Malstil reduzierter. Figuren und Gegenstände komponiert sie mit flächigem und kräftigem Pinselduktus. Häufig wählt sie Komplementärfarben und harte Konturen, die sie mit schwarzen oder dunklen Umrisslinien absetzt. Bei den Worpsweder Malerkollegen sowie bei Händlern und Sammlern stoßen ihre Malereien auf Unverständnis. Allein Otto Modersohn erkennt die künstlerischen Qualitäten seiner Frau und unterstützt sie Zeit ihres Lebens. Dennoch, im Februar 1906 trennt sie sich von ihrem Mann. Sie zieht erneut nach Paris. Nach einem Jahr verwirft sie den Gedanken einer Trennung und kehrt wieder nach Worpswede zurück. Drei Wochen nach der Geburt ihrer Tochter Mathilde stirbt sie 1907 im Alter von 31 Jahren an einer Embolie.

Als Einstieg in die Ausstellung sollte der Besucher mit der Dokumentation "4 x Paris – Paula Modersohn-Becker" im Filmraum beginnen. Historische Filmaufnahmen aus dem Paris der Jahrhundertwende, Aufnahmen der Malakademien und Interviews mit Experten, sind eine informative Einführung in die Bilderwelt dieser ungewöhnlichen Frau. Die Schau selbst beginnt im Untergeschoss des Hauses und endet mit ihren Spätwerken und späten Zeichnungen im oberen Oktogon. Thematisch geordnet, ziehen die Landschaften, das einfache Leben in Worpswede, die Stillleben, die Kinder- und Frauenbilder sowie die Porträts, die Selbstbildnisse und Zeichnungen den Besucher magisch an. Ihre sich zwischen Spätimpressionismus und beginnendem Expressionismus bewegende Bildsprache fasziniert auch den heutigen Betrachter: keine Klischees, keine Romantik, keine idealisierten Darstellungen der bäuerlichen Lebenswelt. Sie malt Kinder, alte Frauen und Bäuerinnen mit groben und verhärmten, vom ländlichen Leben geprägten Gesichter. Immer wieder verwendet sie dieselben Motive wie bei der alten Dreebeen, einer Armenhäuslerin. Bei "Abendliches Fest in Worpswede" sind die Dorfbewohner zu schwarzen oder weißen Flächen abstrahiert. Jegliche Individualität ist verschwunden.

Mädchenbildnis mit gespreizter Hand vor der Brust, um 1905Mädchenbildnis mit gespreizter Hand vor der Brust, um 1905Sind in ihren Kinderbildern "Kopf eines blonden Mädchens mit Strohhut" oder "Mädchenbildnis mit gespreizter Hand vor der Brust" die Gesichtszüge noch scharf modelliert, verschwimmen in ihren späteren Bildern die Körper und Gesichter der Kinder zu konturartigen Flächen: "Zwei Mädchen an einem Birkenstamm stehend". Auffallend ist, dass sie fast nur Mädchen in ihrem bäuerlichen Umfeld porträtiert. Ihr Wunsch nach Vereinfachung und nach Plastizität der Formen und Farben zeigt sich vor allen Dingen in ihren Selbstbildnissen und den Porträts von Freunden, deren Gesichtszüge sie stark abstrahiert und bis ins Maskenhafte steigert: "Brustbild Lee Hoetger" oder "Bildnis Rainer Maria Rilke". Während ihres letzten Aufenthalts in Paris belegt sie Kurse für Aktmalerei an der berühmten École des Beaux-Arts in der Rue Bonaparte. Mit ihren Aktbildern betritt sie künstlerisches Neuland: Sie malt Aktporträts von Mädchen, die sie mit beigefügten Attributen – Blumen, Früchten und Schmuck – ikonenhaft überhöht: "Sitzender Mädchenakt mit Blumenvasen" oder "Stehender Akt mit Goldfischglas". Und, sie malt Aktbildnisse ihres Körpers "Selbstbildnis als stehender Akt mit Hut" und ihr wohl berühmtestes Aktporträt "Selbstbildnis am 6. Hochzeittag". Ein Skandal! Nie zuvor in der Kunstgeschichte hat es eine Frau gewagt, den eigenen Körper nackt zu porträtieren.

Rund 90 Gemälde entstehen zwischen 1906 und ihrem Tod 1907, welche zu den besten und intensivsten ihrer Schaffensperiode gehören, darunter "Alte Armenhäuslerin im Garten mit Glaskugeln und Mohnblumen". Oder Monotypien, in denen sie ein nasses Gemälde auf Zeitungspapier oder liniertes Papier drückt und den Druck übermalt. In starken Farben leuchten das "Stillleben mit Goldfischglas". Ihre späten, maskenhaften Selbstporträts sind geprägt durch einen dezidierten Einsatz von Farben und Formen: "Selbstbildnis mit Zitrone" oder "Selbstbildnis mit zwei Blumen in der erhobenen linken Hand".

Stillleben mit Goldfischglas, 1906, Von der Heydt-Museum, WuppertalStillleben mit Goldfischglas, 1906, Von der Heydt-Museum, Wuppertal

Rund zwanzig Zeichnungen und Skizzen zeigt das Haus, darunter frühe Blätter aus Worpswede, Figurenstudien und Vorstudien zu ihren Gemälden sowie Impressionen von den Straßen und Brücken in Paris.

Paula Modersohn-Beckers künstlerisches Œuvre umfasst rund 750 Gemälde, 70 Stillleben sowie 1.200 Zeichnungen und über zehn Radierungen. In ihrem Leben hat sie nur fünf ihrer Gemälde verkauft. Erst nach ihrem Tod erkannten Kunsthistoriker und Sammler ihr herausragendes Werk und ihre Bedeutung für die moderne Kunstgeschichte. Sie gilt heute "als Wegbereiterin der Moderne".

Der Katalog zur Ausstellung, hrsg. von Franz Wilhelm Kaiser und Kathrin Baumstark, mit Beiträgen von Kathrin Baumstark, Simone Ewald, Karin Schick, Frank Schmidt, Uwe M. Schneede und Rainer Stamm, erscheint im Hirmer Verlag, München (193 Seiten mit farbigen Abbildungen aller ausgestellten Werke, 29 € im Bucerius Kunst Forum).

Die Ausstellung Paula Modersohn-Becker. Der Weg in die Moderne ist bis zum 1. Mai 2017 im Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, 20095 Hamburg, zu besichtigen.

Die Öffnungszeiten sind täglich von 11 bis 19 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr.

www.buceriuskunstforum.de

 


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