Blick in den Ausstellungsraum mit Werk von Candida Höfer, Foto: Holger Kistenmacher

Ausstellung in den Deichtorhallen
Elbphilharmonie Revisited

Für den Generalintendanten der Elbphilharmonie, Christoph Lieben-Seutter fühlt es sich fantastisch an, nur einen Monat nach der Eröffnung seines Hauses gleich in der Nachbarschaft als quasi logische Erweiterung gestern gemeinsam mit Deichtorhallen-Chef Dirk Luckow eine Ausstellung zu eröffnen, die die kulturelle Strahlkraft des Hamburger Jahrhundertbauwerks auf faszinierende Art verdeutlicht.

Von zwölf namhaften internationalen Gegenwartskünstlern und -künstlerinnen wurden meist aktuelle Werke für die Schau geschaffen, die das einzigartige Konzerthaus in seiner architektonischen Alleinstellung kreativ, assoziativ und überraschend kommentieren. Das Spektrum der künstlerischen Positionen reicht von kühlen Fotografien über raumgreifende Installationen und Skulpturen bis hin zu filmischen Arbeiten.

Der Parcours der Kunstwerke beginnt mit einer stark verpixelten, fast schon abstrakten Fotoarbeit von Thomas Ruff, die normalerweise im Büro der ausführenden Architekten Herzog & de Meuron in Basel hängt, die wie eine Fata Morgana auf das sich abzeichnende Millionengrab um 2009 wirkte.

Tomás Saraceno, Arachno Concert, Foto: (c) Holger KistenmacherTomás Saraceno, Arachno Concert, Foto: (c) Holger Kistenmacher

Daneben ist ein romantischer, dokumentarischer Film vom in Hamburg ansässigen Uli M. Fischer zu sehen, der die höchst kontroverse Entstehungsgeschichte der Elbphilharmonie als „Sang und Klang“ humorvoll, aber auch kritisch nachvollziehbar macht. Ebenfalls kritisch ist der Ansatz des Künstlerkollektivs Baltic Raw Org, das mit seiner Installation der „Kanalphilharmonie“, die bereits 2013 auf Kampnagel zu sehen war, einen Hybrid aus Skulptur und Spanplattenarchitektur geschaffen hat, der durch eine Performance von Jacques Palminger (Studio Braun) im Innern noch musikalisch humorvoll und anklagend veredelt wird.

Am konkretesten sind die scheinbar kühlen, aber doch sehr menschlichen Fotos von Candida Höfer, die vor der Eröffnung die Möglichkeit hatte, die Elbphilharmonie von oben bis unten abzulichten. Ihr gelingen Aufnahmen, die einerseits die architektonische Schönheit des Konzertgebäudes in cooler Sachlichkeit der Düsseldorfer Fotoschule (Andreas Gursky oder Jörg Sasse) zeigen, während sie andererseits Einblicke in Kellergeschosse, die längste Rolltreppe der Welt oder auch dynamische gläserne Dachpaneelen gewähren, die wie eigene künstlerische Aspekte detailhaft daherkommen.

Sebstspielendes Piano von Liam Gillick, Foto (c) Holger KistenmacherSebstspielendes Piano von Liam Gillick, Foto (c) Holger Kistenmacher

Den erstaunlichsten Ansatz einer künstlerischen Auseinandersetzung mit der Architektur der Elbphilharmonie gelingt dem argentinischen Künstler Tomas Saraceno, der in seinen Environments an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft Objekte schafft, die faszinieren und durch kreative Raffinesse beeindrucken. In seinem interaktiven Projekt „Arachno Concert“ lässt er eine afrikanische Seidenspinne in einem großen Glaskasten ein filigranes Netz flechten, das der Architektur der Elbphilharmonie beeindruckend nahe kommt. Der Clou der Arbeit besteht darin, dass jeder Besucher durch seine Bewegung Staubteilchen im Licht von Strahlern in Geräusche verwandelt, die die Spinne zum Bau ihres Netzes animiert. Gebannt vom Licht und stetig gefüttert, verlässt die Seidenspinne während der gesamten Ausstellungsdauer ihr Netz nicht – sie ist gefangen auf der Bühne, ihrer eigenen ebenso schönen wie grausamen Architektur.

Ganz anders die künstlerische Position der Italienerin Monica Bonvicini, die in Berlin als Kunstprofessorin lebt und lehrt und für ihre provokativen Untersuchungen zwischen Gender und Architektur bekannt ist. In drei ganz unterschiedlichen Arbeiten setzt sie sich mit der Elbphilharmonie auseinander: In einer Umfrage hat sie weltweit Bauarbeiter bezüglich ihres klischeebesetzten Berufsbildes aus Sex und Männlichkeitswahn befragt ("What does your wife/girlfriend think of your rough and dry hands?") und die Fragebögen akkurat in Rahmen an die Wand gehängt. Gleichzeitig zeigt sie eine große Collage aus Körperteilen, die aus deutschen Hochglanzmagazinen stammen und reagiert damit auf die als „weiße Haut“ bezeichnete Akustikpaneele im Konzertsaal.

Die weiteren Arbeiten, wie den „Turmbau von Babel“ von Peter Buggenhout, die wunderbare Installation von Liam Gillick aus einem selbstspielenden Piano, auf das schwarzer Schnee rieselt, oder die Filme, Bilder und komplexen Installationen von den Künstlern Sarah Morris, Jean-Marc Bustamante, Janet Cardiff und George Bures Miller, Tacita Dean und den Architekten Herzog & de Meuron sollte sich der geneigte Kunstliebhaber bis spätestens 1. Mai 2017 selbst anschauen, denn alles will ich hier nicht verraten. Es lohnt einen Ausstellungsbesuch, findet Holger Kistenmacher.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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