Dietrich Fischer-Dieskau: "Flirt bis zuletzt", (c) Brahms-Galerie der MHL

Brahms im „Beziehungszauber“
Zur Eröffnung einer Ausstellung des Brahms-Instituts in der Villa Eschenburg

In Lübeck ist es nicht schwer, sich für Johannes Brahms zu begeistern. Das der Musikhochschule angegliederte Brahms-Institut in der Villa Eschenburg am Jerusalemsberg sorgt dafür mit einer Sammlung von Autographen, Briefen und Erstdrucken, Fotos und Zeugnissen von und über Brahms – vieles digitalisiert abrufbar.

Sorgfältig aufbereitete Ausstellungen in der Villa präsentieren die Objekte, geben auch in kammermusikalischen Veranstaltungen klangvolle Eindrücke. Die ergänzen das jährliche Brahms-Festival in der Musikhochschule, stehen häufig in Zusammenhang mit der Forschung am Institut.

Brahms-Institut: Villa EschenburgBrahms-Institut: Villa Eschenburg

Zudem veranlasst seit ein paar Jahren der Komponistenschwerpunkt beim Schleswig-Holstein Musik Festival die Suche nach Bezügen zu Brahms. Sie werden in einer Ausstellung und in einem wissenschaftlichen Symposium aufbereitet, beides in den Veröffentlichungen des Brahms-Instituts präsentiert – unter dem Titel „Kontrapunkte“ zuletzt der Band VIII. Er ist beides, ein Kompendium der Vorträge beim Symposium und ein nachtäglicher Katalog zur Ausstellung im Jahre 2015, in dem Tschaikowsky im Zentrum stand. „Grenzenlos? Tschaikowsky in Deutschland“ fragte das Symposium. Acht Musikwissenschaftler aus ganz Deutschland antworteten unter verschiedensten Aspekten. Im zweiten, reich bebilderten Teil wird dann die von Wolfgang Sandberger und Stefan Weymar besorgte, sorgsam strukturierte Ausstellung noch einmal lebendig.

Brahms in Hamburg

Auch Hamburg schmückte sich in der Eröffnungswoche der Elbphilharmonie mit dem großen Sohn der Stadt, der nur ein paar hundert Meter entfernt geboren wurde. Die Wiener Philharmoniker etwa, zur Weihe des Hauses angereist, brachten die „Vier Ernsten Gesänge“ op. 121. Dieser Liederzyklus, 1896, im Jahr vor Brahms‘ Tod komponiert, hat eine Klavierbegleitung. Doch hatte Brahms zum letzten eine Orchestrierung skizziert, Beleg dafür, dass er sich die erweiterte Klangwirkung vorstellen konnte. Detlev Glanert, auch ein komponierender Hamburger und 1960 geboren, nahm die Idee auf, ging weiter. Er setzte jedem der Gesänge ein orchestrales Präludium in einem mehr oder weniger modernen Stil voran und verband sie in seiner Instrumentierung des Begleitparts zu einem Zyklus von etwa 25 Minuten Dauer.

Yo-Yo-Ma & Friends - Klarinettentrio a-Moll op. 114 in der Elbphilharmonie in HamburgYo-Yo-Ma & Friends - Klarinettentrio a-Moll op. 114 in der Elbphilharmonie in Hamburg

Der weltbekannte Yo-Yo-Ma offerierte ein paar Tage später das Klarinettentrio a-Moll op. 114. Ausersehen war der in Paris als Sohn chinesischer Eltern geborene Cellist wohl, die so hochgelobte Akustik des norddeutschen Kulturtrichters auf ihre Tauglichkeit für sensible Kammermusik zu erproben. Es ging gehörig daneben, schon bei der Interpretation einer der Solosuiten für Cello von Bach. Das Problem war nicht der Saal, weniger auch die sehr vergeistigte Interpretation, es war ein Problem des ungeübten Publikums, das dort wie auch beim Trio jedem Satz applaudierte, beides störte, die einheitliche Wirkung der Kompositionen und die Konzentration der Interpreten.

„Beziehungszauber“ und eine Verlobung

Beide Veranstaltungen haben nur peripher mit der kleinen, dennoch feinen Ausstellung in der Villa Eschenburg zu tun, für deren Besuch hier etwas Neugier geweckt werden soll. Lübeck gibt lebendigere Einblicke. Eine Ausstellung im Jahre 2011 hatte sich mit dem „Beziehungszauber“ befasst, darunter mit Brahms‘ Verhältnis zu Frauen. Ein gerade erworbener Schatz für die Sammlung der Autographen war nun Anlass, sich dem Thema erneut zu nähern. Der zeitlebens Ungebundene hatte bekanntlich viele Beziehungen gepflegt. Davon, dass er sich einmal sogar verlobte, erzählt das Autograph des Liedes „Trennung“, das fünfte der „Acht Lieder und Romanzen“ op. 14. Es galt bislang als verschollen und tauchte nun, als eine kleine Sensation und eine große Freude des Instituts, wieder auf. Sein op. 14 hatte Brahms 1858 komponiert und der damals 20-jährigen Agathe von Siebold gewidmet.

Brahms-Autograf: Trennung, Lied op. 14, Nr. 5, 1858, (c) Brahms-Institut an der MHLBrahms-Autograf: Trennung, Lied op. 14, Nr. 5, 1858, (c) Brahms-Institut an der MHL

Wolfgang Sandberger, der Institutsleiter, nannte diese Lieder „Brahms‘ geheimes Tagebuch“, und der Sänger Dietrich Fischer-Dieskau charakterisiert ihre Texte in seinem Brahms-Buch als „sämtlich mit erotischen Untertönen im Gewand des Volksliedes“. Mit Agathe war der Komponist ein Verlöbnis eingegangen, wie ein Foto aus der Zeit belegt. An vorgestreckter Hand präsentiert er seinen Ring. Ob Standesunterschiede, immerhin war Agathe Professorentochter und Johannes ein noch mittelloser Komponist von 25 Jahren, zum Bruch führten oder andere Gründe, ist ungewiss. Aus Agathes Besitz, die vieles vernichtete, ist wenigstens dieses Liedautograph erhalten und von einem Nachfahren dem Institut überlassen worden.

Weitere Beziehungen

Johannes Grützke: Brahms und Hans von Bülow, (c) Brahms-Galerie der MHLJohannes Grützke: Brahms und Hans von Bülow, (c) Brahms-Galerie der MHLAndere Dokumente gegenseitiger Verehrung bringen zum Schmunzeln, wie etwa ein gemeinsames Foto mit Johann Strauss, Sohn, grauhaarig der Jüngere, in schwarzer Haarpracht der 10 Jahre Ältere. Auch die Statuette, die Hans von Bülow beim Dirigieren zeigt, so wie ihn die Lübecker 1884 in ihren Mauern hatten erleben können. Sie erinnert an die humorvolle Darstellung der beiden, wie sie der Maler Johannes Grützke auf die Leinwand bannte: Brahms zupft neckisch am Spitzbart des Freundes. Es ist eines der ganz besonderen Bilder der Brahms-Galarie in der Musikhochschule. Bülow war Leiter der Memminger Hofkapelle und mit ihm unter anderem in Lübeck aufgetreten. Für Brahms war wichtig, dass er mit diesem Orchester und seinen Musikern viele seiner Werke ausprobieren konnte, geschehen auch mit dem oben genannten Klarinetten-Trio op. 114, das er für den Klarinettisten Richard Mühlfeld komponierte.

Clara Schumann schrieb er 1891, man könne „nicht schöner Klarinette blasen, als es der hiesige Herr Mühlfeld tut“, und der Freifrau von Heldburg teilte er „in einem launigen Brief mit, dass er ein Trio und ein Quartett geschrieben habe, die er aufgrund der erforderlichen Mitwirkung Mühlfelds zuerst in Meiningen zu probieren beabsichtige“ (s. Brahms-Handbuch 460). Auch hier lassen sich anders geartete, zeitbedingte Bezüge erkennen, denn die Freifrau hatte Ähnliches durchleben müssen wie Brahms vor seiner Trennung von Agathe. Auch sie litt unter Standesdünkeln, war sie, die Schauspielerin Ellen Franz, durch ihre Hochzeit doch der Gesellschaft nicht fein genug. Auch ihr Mann Georg, ein großartiger Kunstkenner und -förderer, musste sich gegenüber den Kindern aus seiner ersten Ehe, seinen Eltern, den deutschen Fürsten und dem Kaiser immer wieder rechtfertigen, Ellen geheiratet zu haben.

Sänger und Maler

Dietrich Fischer-Dieskau: Flirt bis zuletzt, (c) Brahms-Galerie der MHLDietrich Fischer-Dieskau: Flirt bis zuletzt, (c) Brahms-Galerie der MHLEin anderes Exponat führt zu einer weiteren, intensiven Beziehung, belegt durch ein anderes Bild der Brahms-Galerie, das für die Zeit der Ausstellung in der Rotunde hängt. Es springt beim Hereinkommen sofort ins Auge. Gemalt hat das in der Grundstimmung heitere Ölbild der Sänger Dietrich Fischer-Dieskau. Vorlage war ein braunstichiges Foto, das Brahms mit Emmy Weyermann, einer Freundin und Mäzenin, im Park des rheinischen Schlosses Hagerhof verewigte. Fischer-Dieskau betont in seiner pastös farbigen Gestaltung eine freudige Erregung, während man im oberen Hintergrund einen eifersüchtigen Männerkopf zu sehen glaubt. Der Sänger und Brahms-Kenner nennt sein Bild ironisch „Flirt bis zuletzt“ und verweist damit auf die starke Wirkung, die Brahms auf Frauen hatte, auch dessen Wohlgefallen daran.

Clara Schumann

Über das Verhältnis zu Clara Schumann ist schon vieles geschrieben und vermutet worden. Eines ist sicher, die „Vier ernsten Gesänge“ hat Brahms komponiert, als Clara todkrank darniederlag. An die Töchter schrieb er: „… ich bitte Sie, sie als ein Totenopfer für Ihre geliebte Mutter anzuschauen und hinzulegen“, denn Clara war nur zwei Wochen nach deren Vollendung gestorben. Unmittelbar nach der Bestattung von Clara Schumann in Bonn war Brahms auf dem rheinischen Hagerhof, dort, wo auch Walther und Emmy Weyermann wohnten. Und hier sang er die Lieder erstmals vor Zuhörern, auch vor weiteren Musikern der Meininger Hofkapelle.

Die Ausstellung regt wieder sehr an, auch der sorgfältig gearbeitete Katalog von 2011 mit seinen 60 Abbildungen und den Texten von Wolfgang Sandberger, Stefan Weymar und Andrea Hammes.

Die Ausstellung ist vom 1. Februar bis zum 31. Mai 2017 jeweils am Mittwoch und Samstag von 14 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung geöffnet: "Beziehungszauber" - Johannes Brahms. Widmungen, Werke, Weggefährten

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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