Foto: Silvano Ballone

Ein gewaltiger Paukenschlag in Lübeck
Die Eröffnung des Jubiläumsjahres "500 Jahre Reformation"

Unter der Federführung der Kirche St. Marien traf sich das Bundesjugendorchester mit dem von John Neumeier geleiteten Jugendballett gleich am Beginn des Jahres zu einem Gipfeltreffen der Musik- und Tanzkunst in der Lübecker Musik- und Kongresshalle.

Es handelte sich um die Vorpremiere einer deutschlandweiten Tournee dieser jungen Künstler, die sie noch in die Hamburger Staatsoper, die Berliner Philharmonie sowie die Dresdner Semperoper führen sollte. Der Titel der Konzerte lautet "Reformation" und soll an Martin Luthers Thesenanschlag vor 500 Jahren erinnern.

Dieses erstklassige Bundesjugendorchester setzt sich ausschließlich aus Schülern allgemeinbildender Schulen zwischen 14 und 19 Jahren zusammen. Mit dem Schulabschluss endet für sie automatisch ihre Orchestermitgliedschaft. Es sind handverlesene, absolute Ausnahmetalente aus dem gesamten Bundesgebiet, die auf diese Weise besonders gefördert werden. Das von John Neumeier geleitete Ballett nennt sich zwar auch "Bundes"-jugendballett, jedoch ist die Bezeichnung hier etwas irreführend. Denn dieses Ensemble besteht aus einer nationenübergreifenden Auslese weltbester Nachwuchstänzer, acht an der Zahl, nur einer von ihnen stammt aus Deutschland, aus München. Alle werden auf höchstem Niveau fortgebildet.

Trotz dieses hochkarätigen Aufgebots war die Musik- und Kongresshalle nur gut zur Hälfte gefüllt. Das mag zum einen daran gelegen haben, dass etliche auch hochrangige Kirchenvertreter es vorgezogen haben, den Neujahrsempfang der schleswig-holsteinischen Landesregierung in Travemünde zu besuchen, und zum anderen daran, dass diese Veranstaltung in der Öffentlichkeit nur mäßig bekannt gemacht worden war. Umso mehr konnten die ausnahmslos versierten Besucher das künstlerische Gipfeltreffen genießen, wenn auch die flache Rotunde nicht unbedingt immer eine gute Sicht auf die vor dem Orchester aufgebaute Tanzbühne ermöglichte.

Dem Anlass und Auftrag entsprechend begannen die Tänzer unter Begleitung einer einzelnen Flöte, mit dem Choral "Aus tiefster Not schrei ich zu dir" eine mystisch düstere Atmosphäre zu schaffen. Das große Orchester folgte mit der sogenannten Reformations-Sinfonie von Felix Mendelssohn Bartholdy. Der Dirigent Alexander Shelley, bekannt als Chefdirigent der Nürnberger Symphoniker, führte die mehr als 100 jugendlichen Musiker energisch durch alle Stimmungswechsel dieser getragenen wie auch schwungvollen Kirchenmusik. Und sie konnten ihm folgen, lebhaft, versiert, einschließlich des Kernthemas "Ein feste Burg ist unser Gott".

Gleich nach der Pause ging es hochmodern weiter mit der Vor-Uraufführung des Stückes "Reversal" von dem niederländischen Komponisten Michel van der Aa. Das Orchester griff an, klar und frisch, immer in feinster Abstimmung mit den Tänzern. Die neuartige Choreographie schuf passend zur Musik überraschende Gruppenbilder.

Den eigentlichen Höhepunkt ertanzten sich die Schüler John Neumeiers zur Musik von keinem Geringeren als Johann Sebastian Bach und seiner "Orchestersuite Nr. 3 D-Dur". Hier hat John Neumeier alle klassischen Ballettmuster mit modernen Schrittelementen durchdekliniert, die die Tänzer mit Hingabe, Anmut und Präzision ausführten, immer im Einklang mit dem bestens motivierten Orchester.

Getanzt wurde mit und ohne Ballettschuhe, wobei der freie Blick auf die bloßen Füße teilweise mitleiderregend war. An Ballen und Zehen geschundene Füße lassen sich beim professionellen Balletttanz offenbar nicht vermeiden, selbst in so jungen Jahren wie bei diesen Tänzern nicht.

Die letzte Umbauphase überbrückte der Dirigent gemeinsam mit den Tänzern, selbst düster als wandelnder Tod vermummt, indem er mit ihnen zu einem einzelnen Geigenspiel mit Bach-Klängen im Schein einer Kerze bedeutungsvoll über die Bühne schritt.

Dann kam der Eklat: Mit Stimmen aus etlichen internationalen Kriegsnachrichten von Aleppo und sonstigen Schauplätzen setzte ein aufwühlendes Musikstück von Enjott Schneider ein. Die Tänzer sprangen nach einer Choreographie der Chinesin Zhang Disha mit Kampfanzügen und Bomben wild auf der Bühne herum, bis sich endlich die Hoffnung auf ein neues Leben durchsetzte, die Bomben niedergelegt wurden und junge Pflanzen sprießen konnten. Sehr modern, kam aber wegen der ständig einschlägigen Tagesnachrichten beim Publikum nicht so unbedingt gut an.

Nach diesem Schreck ließen die Künstler zügig ihre Zugabe folgen. Sie gaben ausgelassen und voller Freude die Ouvertüre zu "Candide" von Leonard Bernstein zum Besten und ernteten Standing Ovations.

Foto: Silvano Ballone


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