Foto (c) Falk von Traubenberg

Die Finanzwelt an zappelnden Fäden
Lehman Brothers – Aufstieg und Fall einer Dynastie

Kaum ist das 4. Internationale Figurentheater-Festival in Lübeck vorbei, zieht das Theater Lübeck mit einer Inszenierung nach, die gut dazu gepasst hätte (Premiere: 25. November 2016). Denn über 50 Puppen wurden an der Beckergrube bemüht, den Aufstieg und Fall der dynastisch geführten „Lehman Brothers“ darzustellen.

Der Werdegang des so übermächtigen Geldinstituts wurde über drei Generationen verfolgt, von seinen Anfängen im Jahre 1844 bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein. Für den allmählichen Verfall und für das böse Ende danach, das „spektakulär“ zu nennen verharmlosend klänge, reichten die Puppen mit ihrem sympathisch stoischen Ausdruck nicht mehr. Dazu musste der dynamischere Film her, denn das schonungslose Konterfei des Bankchefs Richard „Dick“ Severin Fuld Jr. aus dem Jahre 2008, letzter Chef der Bank, war in seiner starren Mimik, Ausdruck der Dummheit, mit den Mitteln der Marionette nicht einzufangen. Ausgewählte Sequenzen aus seinem entlarvenden Auftritt vor einem Untersuchungsausschuss waren ein abschreckendes Beispiel dafür, wohin ungebremste Gier führt. Es war das düstere Ende eines Gewerbes, das über Jahrzehnte die Welt machtvoll umklammerte. Wäre es nur der Zusammenbruch eines Finanzimperiums gewesen, wäre es schon beschämend genug. Beschämender noch war, dass dieses Aus eine weltweite Wirkung hatte und vielen Menschen auch außerhalb Amerikas Vermögen und finanzielle Sicherheit kostete. Amerika verspielte damit vor Trump einmal mehr Glaubwürdigkeit, den Anspruch auf politische und finanzielle Führerschaft, von moralischer ganz zu schweigen. 

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Stefano Massini, italienischer Autor und Theaterleiter, hatte sich intensiv mit der Finanzkrise von 2008 beschäftigt, deren Auslöser das expansionswütige Institut „Lehman Brothers“ war. Seine breit angelegte Trilogie ist nicht als Drama konzipiert. Es ist in den Grundzügen episch. Wird es auf die Bühne gebracht, müssen erst Szenen und Dialoge gestaltet werden oder die Handlung auf andere Weise vermittelt werden. Gernot Grünewalds Lübecker Inszenierung tat es durch das Puppenspiel, das, wie die Vorlage, im Jahre 1844 mit der Ankunft des ältesten der Brüder in New York begann. Aus dem bayerischen Limbach war der ausgewandert, ein junger Jude, der in seiner deutschen Heimat keinen Beruf erlernen durfte, dessen Leben insgesamt durch rigide Gesetze streng reglementiert war. Aus Hayum Lehmann wurde im Land der unbegrenzten Möglichkeiten Henry Lehman. In Alabama gründete er kurze Zeit später den Ladenhandel „H. Lehman“. Daraus wurde drei Jahre später „H. Lehman and Bro.“, als der Bruder Mendel, dort Emanuel genannt, hinzukam. Weitere drei Jahre später folgte durch den jüngsten Bruder Mayer die 158 Jahre bleibende letzte Veränderung zu „Lehman Brothers“.

Szenisch aufgerollt werden ihre geschäftlich expansiven Machenschaften und privaten Eigenheiten in kleinen Begebenheiten. Köstlich etwa die Werbung Emanuels um Pauline Sondheim oder das umgekehrte Spiel, das Ruth Lamar mit Robert Lehman, dem Enkel, trieb. Makaber aber die Art, wie die Brüder sich den Zugang zum Gold Alabamas verschafften, der Baumwolle, die sie bereits im Sezessionskrieg, mehr noch in der Söhne- und Enkelgeneration zu gewissenlosen Kriegsgewinnlern machte. Über allem aber stand immer wieder ihr Instinkt für das, was Gewinn schaffte, für Eisenbahn und Flug, für Börse oder Investment. Sie begannen als Mittler, als einfache Wiederverkäufer, mit riesiger Gewinnmarge und wurden immer mächtiger zum weltweit agierenden Finanzimperium.

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Kleine Szenen waren durch kommentierende Auftritte der Schauspieler verbunden, irgendwo im Raum oder im Vordergrund an Mikrophonen. Keiner hatte eine bestimmte Rolle. Jeder war Teil des Ganzen. So seien Patrick Berg, Nadine Boske, Matthias Hermann, Susanne Höhne, Andreas Hutzel und Vinzenz Türpe auch nur als Team genannt. 38 Rollen mit ebenso vielen Charakteren hatten sie zu sprechen, dazu die von Judith Mähler gebauten Puppen zu führen, zu filmen oder ins rechte Licht zu setzen. Die Marionetten, steif im Rücken, nur an den Armen für weiche oder heftige Gesten beweglich, hatten wenig Ausdrucksraum. Den gaben ihnen die Schauspieler, die für sie flüsterten oder schrien, ihnen Leben über die Stimme und die wenigen Armgesten gaben. Sie wurden übergroß auf eine Leinwand projiziert, bekamen durch zeitgemäße Fotos oder Filmsequenzen einen Hintergrund.

Michael Köpke hatte eine Reihe von puppenhausartigen Räumen gebaut, in denen sie agierten, den alten Laden mit seinen Baumwollballen, die herrschaftlichen Interieurs oder das Büro für Enkel Robert, der in der Kunst den großen Gewinn witterte. Alles stand auf Tischen auf der erhöhten Drehbühne, kreiste wie das Leben munter umher.

Das alles beeindruckte in seiner Chronologie, war plausibel bis zum Ende der dynastischen Führung, hatte in seinen Szenen viel über sie hinausweisende Gültigkeit, wurde zur Parabel darüber, wie sich Geld vermehrt und was es aus Menschen macht. Danach wurde es zu verwirrend, passte nicht mehr in die Puppenwelt, war auch schwer zu verfolgen mit der Fülle von Informationen, mit den Blicken darauf, wie sich das Finanzwesen allgemein und auf das Bankhaus entwickelte. Die Perspektive verlor an Geschlossenheit, an Griffigkeit. Erst mit der Wandlung zum Film packte die Darstellung wieder, weil sie sich auf ein Problem konzentrierte. 

Termine: 4. Dezember um 18:30 Uhr und 21. Dezember 2016 um 20 Uhr


Fotos: Falk von Traubenberg

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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