Apropos Liebe
Erotische Hochspannung im Schweriner E-Werk

„Apropos Liebe“ war die zweite Darbietung des Schweriner Balletts in dieser Spielzeit. Nach der Annäherung an „Ravel“ erforschten das Dutzend Tänzer nun zusammen mit dem französischen Choreographen Martin Chaix das, was „nebenbei“ über „Liebe“ so zu sagen ist.

Keine Abhandlung, eher ein lockeres Räsonieren über das ewige Problemfeld zwischenmenschlichen Gehabes. Anregung holte man sich hautnah in der Musik, in ihrer Stimmung und in ihren Texten. Chansons vor allem boten da viel, versetzten im Geiste nach Paris, immer als die Hauptstadt der Liebe apostrophiert. Der Tanz verdeutlichte die Empfindungen oder weckte Erinnerungen. Das hatte Studiocharakter, wollte Fragen stellen, auch in der Darstellung.

Martin Chaix, 1980 geboren, begann schon mit sechs Jahren zu tanzen, gehörte zu Brigitte Lefèvres Paris Opera Ballet, wurde Solist in Leipzig und dann bis 2015 in Düsseldorf und Duisburg am Ballett am Rhein. Vor zehn Jahren debütierte er zusätzlich als eigenständiger Choreograph. Man spürte in Schwerin seine Leidenschaft für den Tanz, auch die aller Beteiligten, die er offensichtlich mit seinen Ideen, seiner Choreografie und seiner Ausstattung überzeugte. Er forderte alle Mittel ein, Elemente des klassischen Tanzes bis hin zum Ausdruckstanz, auch Pantomimisches und kurze gesprochene Partien. Drehungen werden zu einer Art Markenzeichen, solche der Arme und Oberkörper, pirouettenhafte Drehungen um die Senkrechte und Drehungen, die der Partner um den Köper des anderen macht. Der nüchterne alte Maschinenraum des E-Werks, die rechteckige nackte Tanzfläche, die waagerecht angeordneten, spärlich an den drei Wänden angebrachten Neon-Röhren, die Auftritte und Abgänge durch einen Spalt in der Mitte der Rückwand, die einfachen schwarzen Hosen und schwarzen T-Shirts mit einem die Neonröhren zitierenden weißen Streifen auf der Brust, alles machte einen eher strengen, abweisenden Charakter. Die Tänzer, manchmal die Lichteinstellungen mussten eine Atmosphäre erst schaffen und verdichten.

Foto (c) Silke WinklerFoto (c) Silke Winkler

Gegliedert wurde der episodische Ablauf durch die Musik, alles Werke französischer Komponisten aus unterschiedlichen Zeiten. Eher vordergründig und spielerisch begann der Abend mit dem „Parlez-moi d’amour“ der 1930er Jahre. Ein Paar trifft sich, umwirbt sich. Andere treten auf, werben ab. Neue Paarungen bilden sich, hetero- und homoerotische. Edith Piaf hilft mit „La Foule“, bis sich ein Paar zu Claude Debussys „Clair de lune“ tiefer aufeinander einlässt. Die Liebe in all ihren Gegebenheiten wird sichtbar. Liebevoll („Tendrement“) wird es, und doch bleibt Einsamkeit. Sie wird in Erik Saties sentimental feinsinniger „Gymnopédie“ eingefangen. Der Tanz wird hier erstmals zum Spitzentanz, wobei die Bewegungen zum Formenkanon der alten Schule kontrastieren. Sie gleichen eher einer Art von Fitnessübung, mit denen Gefühle verdrängt werden. Die brechen heftig in einem anderen Stück Saties auf, in seinem „Je te veux“. Das Paar, Alyosa Forlini und Irene López Ros, reagiert sehr sinnlich auf den sentimentalen Walzer mit seinem erotischen Text. Sie reißen sich die Kleider vom Leib, verschlingen und verwirren sich im Liebespiel, getaucht in rotes Licht. Deutlicher geht es kaum, ist immer in der Gefahr, ins Banale zu kippen, wird aber doch durch die Gebärdensprache davor bewahrt. Direktheit, Machogehabe kolportieren die Männer dann in einer Chippendale-Parodie zu Plastic Bertrands „Ça plane pour moi“. Als Gegenpol folgt, nicht minder klischeebedroht, der Tanz dreier Damen zu Gabriel Faurés „Pavane“, gefühlsbeseelte Weiblichkeit.

Foto (c) Silke WinklerFoto (c) Silke WinklerSie bildet den Übergang zu einem zweiten Teil, in dem Streit und Tränen, Enttäuschung und Einsamkeit gestaltet werden. Darin fällt eine eigene Geschichte aus dem Rahmen, die vor allem musikalisch anders geprägt ist. Es ist die kammermusikalische Musik zu Pierre Boulez‘ „Dèrive“. Atonal und flirrend, klangsinnlich in ganz anderer Art, untermalt sie den Verlust von Träumen, der zum Gegenpol der Liebe, zum Tode führt. Optisch wird das durch Regen- und Herbststimmung unterstützt, durch Laub und Rettungswesten. Besonders berührend hier der Pas de deux einer vergeblichen Versöhnung, getanzt von Magdalena Pawelec und Dan Datcu.

Ohne das bekannteste Liebeslied, ohne „Plaisir d’amour“, kann eine Choreographie zum Thema „Liebe“ nicht auskommen. Schon im 18. Jahrhundert sang man das Lied und seinen resignativen Text: „Plaisir d’amour ne dure qu’un moment, chagrin d’amour dure toute la vie“ (Die Freude der Liebe dauert kaum einen Moment, Liebeskummer besteht ein Leben lang.). Das „Parlez-moi d’amour“ des Anfangs, zum Finale in einer Instrumentalversion, entließ das Publikum aus diesem heiteren und besinnlichen Panoptikum. Großen Beifall gab es bei der Premiere am 30. November 2016.

Weitere Aufführungen: am 7., 11. und 22. Dezember 2016 und am 4. Februar 2017 Theater Schwerin/ E-Werk


Fotos (c) Silke Winkler

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.