Ehrenpreisträger Roy Andersson, Laudatio vom Regisseur Fred Scott („Being a human person“)

NFL 2023
Die 65. Nordischen Filmtage Lübeck sind eröffnet

Die Eröffnung der 65. Nordischen Filmtage wurde gewohnt souverän von der Moderatorin Loretta Stern geleitet, die zunächst die bekannten Akteure aus Politik und Kultur begrüßte.

Danach wurden die vielen Unterstützer und Geldgeber des Festivals von Susanne Kasimir gewürdigt, die als Stellvertreterin aller den Staatssekretär Wendt aus Kiel begrüßte. Dieser betonte den Willen der Landesregierung, das Festival auch zukünftig finanziell und ideell zu fördern. Es folgten diverse Reden bezüglich des Gründers des Festivals vor 65 Jahren, Apotheker Hiller, der mit einem Budget von 750 Mark anfing.

Thomas Hailer, Moderatorin Loretta Stern und Susanne Kasimir bedanken sich beim Begründer der Filmtage, Apotheker Hiller.Thomas Hailer, Moderatorin Loretta Stern und Susanne Kasimir bedanken sich beim Begründer der Filmtage, Apotheker Hiller.

Dann wurden zum erstmal die neuen Drehbuchstipendien in Höhe von je 35.000 Euro vergeben. Sie gingen an Gesine Danckwart für „Herzkammer - Ein Escape-Room für Fortgeschrittene“, sowie an Annika Pinske für ihren Spielfilm „Im Fluss“. Es folgte die Laudatio vom Regisseur Fred Scott („Being a human person“), der Roy Andersson als ikonischen Filmemacher beschrieb, den man in jedem Bild sofort erkennt. Dessen Mantra sei gewesen: „Die Wahrheit liegt im Raum“, eine Anspielung auf dessen Studio 24, wo alle Szenen akribisch aufgebaut wurden. Andersson erschien dann persönlich per Videoscreen.

Leider konnte der 80jährige schwedische Regisseur Roy Andersson zur Preisverleihung des diesjährigen Ehrenpreises nicht persönlich erscheinen. „Er fühle sich nicht mehr transportfähig“, wie er in einem Interview sagte. Überhaupt sei er ja bereits vielfach für sein Werk ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Preis der Jury bei den Filmfestspielen in Cannes, einem Goldenen Löwen in Venedig sowie dem Europäischen Filmpreis. Diesmal hatte Andersson seinen jungen schwedischen Kollegen Carl Olsson, der selbst mit „Vintersaga“ im Wettbewerb steht, bestimmt seinen Ehrenpreis entgegen zu nehmen. „Der schwedische Filmregisseur habe ein einzigartiges Lebenswerk geschaffen, das unser Menschsein in seiner Verletzlichkeit, Unzulänglichkeit und auch seiner Brutalität erkundet“, begründete der Künstlerische Leiter der Filmtage Thomas Hailer die Wahl.

Regiekollege Carl Olsson (Vintersaga) holte den Ehrenpreis in Vertretung von Andersson ab.Regiekollege Carl Olsson (Vintersaga) holte den Ehrenpreis in Vertretung von Andersson ab.

Im Rahmen der diesjährigen Hommage können die Zuschauer/innen der NFL diese herausragende Kinoarbeit anhand der unterschiedlichsten Arbeiten des Meister-Regisseurs in Lübeck begutachten. Es gibt Dokumentationen über seine Arbeitsweise, aber auch frühere Werke, wie kurze, ironische Werbefilme. Darüberhinaus werden seine Spielfilme, wie seine „Trilogie über das menschliche Wesen“ von 2000 und 2014 - „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ und auch sein letzter Film „Über die Unendlichkeit“ von 2019 gezeigt. In diesen Filmen, die aus einzelnen Episoden bestehen, werden die Menschen in grauen, schweigsamen und oft absurden Situationen gezeigt, die aber äußerst akribisch in Szene gesetzt werden. Manches lässt an Kafka denken, wenn die graugesichtigen Personen, zwischen Humor und Tragik genau austariert, ihren täglichen Kampf im Leben ausführen. Meist bleibt einem das Lachen im Halse stecken.

Wie er selbst, stammen seine Protagonisten meist aus der Arbeiterklasse, die sich mit überbordenden Bürokratie auseinandersetzen müssen oder den Kampf gegen den Alkohol, wie auch der Regisseur selbst, nicht immer gewinnen. Mittlerweile hat Roy Andersson seine Karriere als Filmregisseur für beendet erklärt. Vielleicht wird er sich wieder vermehrt der Malerei widmen, was er ja bereits seit Jahren sehr ausführlich in der Ausstattung und der Filmarchitektur seiner Filme in seinem privaten Studio 24 in Stockholm meist eigenhändig erarbeitet hat. Den oft gnadenlosen Neorealismus voller Alltagsabsurditäten seiner Arbeiten sollte man sich unbedingt im Laufe der nächsten Tage nicht entgehen lassen.

Das Team des Eröffnungsfilm : Produzentin Anna Carlsten, Schauspieler/in Gustav Hammarsten und Anja Lundqvist mit Loretta Stern.Das Team des Eröffnungsfilm : Produzentin Anna Carlsten, Schauspieler/in Gustav Hammarsten und Anja Lundqvist mit Loretta Stern.

Dann ging es endlich los mit dem diesjährigen Eröffnungsfilm der Filmtage, der ebenfalls aus Schweden stammt. War man in den letzten Jahren nicht immer besonders glücklich mit der Auswahl eines Eröffnungsfilm, so muss man die Auswahl des Films 2023 besonders lobend erwähnen. Mit „Together 99“ von Lukas Moodysson, der hier seine Deutschland-Premiere erlebte, kann man eintauchen in die Welt der geplatzten Träume, des Selbstbetrugs und der vertanen Zeit und Chancen im Leben. Es geht in dem aktuellen Film um die Fortschreibung der Entwicklung einer in den 70er Jahren gegründeten Kommune, die Moodysson bereits als Vorgänger im Jahre 2000 unter dem Titel „Together“ gezeigt hatte.

Ein Vierteljahrhundert später leben nur noch Göran und Klasse wie ein altes Ehepaar zusammen in der „kleinsten Kommune der Welt“. Der eine schreibt Artikel, die er ab und an auch einmal verkauft bekommt, während der andere Teppiche webt. Als Klasse zum Geburtstag von Göran die alten Freunde und Mitbewohner/innen in die Kommune einlädt, kommt, was kommen muss: Erst gehen alle frohgemut schwimmen, dann kommen die alten Liebeleien, Konflikte und Probleme auf den Tisch. Es wird gesoffen und gestritten, wie früher, wo man sich nicht über den Abwaschplan einigen konnte. Früher hatte Erik gegen sein reiches Elternhaus rebelliert und zehn Jahre den Marxismus in Moskau studiert.

Filmszene aus 'Together 99', (c) Memfis Filmproduktion ABFilmszene aus 'Together 99', (c) Memfis Filmproduktion AB

Jetzt ist er vom kommunistischen Glauben abgefallen und ein strammer Antikommunist. Auch der allen unbekannte Peter taucht auf und ein älterer, einsamer Herr in schwarzem Anzug. Daneben hatten sich Göran und Klasse irgendwie in ihrem Stillstand eingerichtet, in einer alt gewordenen Sorglosigkeit der früheren Jahre, die ihnen aber mehr und mehr Sorgen machen. Sie besitzen keinen Fernseher und der Plattenspieler ist auch kaputt. Und an der Wand hängt ein längst vergilbtes und vergessenes Mao-Poster. Trotzdem hat Moodysson daraus kein Leichen-bitteres Drama gestrickt, sondern präsentiert in weichem Licht gedreht, einen Film zwischen Absurdität und Humor, in dem aber auch die alten Geschichten und ihre Verletzungen nicht ausgespart bleiben. Endlich also einmal wieder ein Eröffnungsfilm voll aus dem Leben, voller Empathie, Humor aber auch Lebensweisheit und Realismus.

Das Team aus Produzentin Anna Carlsten und den beteiligten Schauspieler/innen Gustav Hammerstein und Anja Lundqvist stand dem Publikum mit weiteren Erläuterungen nach dem Film Rede und Antwort. Der Film wird noch im Laufe des Festivals unter anderem im Kolosseum und im Cinestar gezeigt. Der Vorgängerfilm „Together“ läuft am 5. November um 20 Uhr im Kommunalen Kino.


Fotos: (c) Holger Kistenmacher

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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