Sammlung Falckenberg Harburg/ Deichtorhallen Hamburg
Ernsthaft?! Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst

Es gibt ja Künstler, denen ist nichts peinlich. Voller Enthusiasmus geben sie in ihrer Kunst alles, und sei es noch so fragwürdig. Auf über 6.000 qm Fläche über 4 Stockwerke in den Phoenix-Fabrikhallen in Hamburg-Harburg sind jetzt aktuell 100 künstlerische Positionen mit insgesamt 300 Werken zu sehen, die belegen, dass selbstironische, bissige bis satirische Kunst, jenseits eingefahrener Kunstbahnen nicht unbedingt in die Tonne gehört.

Die Ausstellung, die schon in Bonn zu sehen war und später nach Graz weiterreist, spannt einen weiten Bogen vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Das älteste Werk stammt von Willem de Brueghel, dem Älteren und zeigt drei Narren. Dazu sind viele namhafte Künstler und Künstlerinnen wie Marcel Duchamp, Francis Picabia, René Magritte, Giorgio de Chirico und Stutevant, Alfred Jarry, Sigmar Polke, Martin Kippenberger oder Gregor Schneider bis hin zu zeitgenössischen Positionen der Gegenwartskunst wie zum Beispiel Paul McCarthy, Nicole Eisenmann, Fischli&Weiss, Isa Genzken, Mike Kelley, John Baldessari, Maria Lassnig oder Peter Land zu sehen. Die meisten Werke stammen vom Sammler Harald Falkenberg, der sein Faible für schräge, abseitige Kunst, freakhafte, trashige und dadaistische Künstler mal wieder richtig ausleben kann.

Eine der wichtigsten Haltungen, die der modernen und zeitgenössischen Kunst zugrunde liegt, ist die enthusiastische Albernheit, die auch vor der Unvernunft nicht zurückschreckt und mit einer Vorstellung von humorvoller Unbeschwertheit verbunden ist. Kuratiert wurde die grandios „lachhafte“, aber keineswegs lächerliche Ausstellung von Jörg Heiser und Cristina Ricupero aus Italien, die sich seit der Zusammenarbeit bei der Biennale von Busan in Südkorea kennen.

Intendant der Deichtorhallen Prof. Dirk Luckow und Kuratorin Cristina RicuperoIntendant der Deichtorhallen Prof. Dirk Luckow und Kuratorin Cristina Ricupero

„Ernsthaft“ kokettiert mit dem Humor der Katastrophe, dem schlechten Geschmack, dem Camp-(Kitsch)Ansatz. Es geht um bissige Kritik, kühne Innovationen und Frechheiten, satirische Aneignungen, radikale Negationen und den Kampf gegen ästhetische Dogmen. Aber immer geht es um das Lachen, das Spass macht und zugleich - ohne nur skandalisieren zu wollen - alle Konservativitäten, Bigotterien, Moralvorstellungen und nicht zuletzt avantgardistische Dogmatismen unterläuft.

Unterteilt ist die Schau, die von Malerei, Grafik, Zeichnungen über Film, Video, Skulptur, Installation bis zu Foto-Serien reicht, in acht Kapitel. Von Coney Island über Camp und Dada geht es zu Minimalismus, Surrealismus zum Modernen Museum und den B-Movies. Schlechter Geschmack, Science Fiction, Horror, Unreife, Idiotie und Leidenschaft sind dabei die wichtigsten Bestandteile des albernen Enthusiasmus. Natürlich ist der ans Kreuz geschlagene Frosch von Martin Kippenberger zu sehen, wie auch die schielende Nofretete von Hans-Peter Feldmann oder die Stinktiere mit raushängendem Penis von Paul McCarthy ausgestellt.

„Holterdiepolter“ fliegt da in der Foto-Serie die Ehefrau von Anna & Bernhard Blume durch die Gegend, während die schrägen drittklassigen B-Movies von Ed Wood immer noch ihren Kult-Status bewahren. „Trump-Horror“ trifft auf schwulen Trash von Divine und Cat-Woman. Mitunter weiß der Betrachter nicht, ist das jetzt eine Hommage oder eine Parodie. Abscheu und das gesamte Spektrum der Idiotie sind zu bestaunen. Egal ob jetzt schlechter Geschmack oder Bad Acting, für jeden ist ein spezieller „Kunst-Witz“ dabei.

Dabei haben die Macher der Schau, in der man sich leicht verlieren kann, für eine gewisse Struktur gesorgt. Jedes Kapitel wird eine besondere Farbe zugeordnet. So ist Coney Island in rot-weissen Töne unterlegt, während die Camp-Abteilung natürlich in rosa daherkommt. Dada ist lachsfarben und stellt den kunsthistorischen Bezug her, der belegt, dass diese Kunstrichtung mit den absurden Gedichtsformen schon 10 Jahre früher existierte, nämlich in Russland.

Wer die Ausstellung besucht, sollte also auf jeden Fall viel Zeit mitbringen. Dafür gibt es als Neuerung an den Wochenenden jetzt immer freien Eintritt. Auch besondere Führungen für Kinder, Jugendliche oder die türkische Community werden ebenfalls angeboten. Und einen witzigen, informativen Katalog gibt es natürlich auch für 39 Euro in der Ausstellung. Also auf nach Hamburg-Harburg und sich köstlich amüsieren über die Kunst, die nicht weg muss, sondern mehr als sehenswert ist.

Ernsthaft?! Läuft bis zum Herbst in den Phoenix-Hallen der Sammlung Falckenberg in der Wilsdorfer Straße 71 in Hamburg-Harburg. Geöffnet ist bei freiem Eintritt jeweils samstags und sonntags von 12-17 Uhr. Jeden Freitag von 15-17 Uhr gibt es Führungen in deutsch, englisch, leichter Sprache oder türkisch für 12 Euro.



Fotos: Holger Kistenmacher

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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