Foto: (c) Giovanni Cocco / Mare

Buch-Tipps für den Gabentisch
Ja ist denn schon wieder Weihnachten?

Die obige Frage läßt sich noch mit „nein“ beantworten, aber der Herbst schreitet voran, die Blätter sind von den Bäumen gefallen und die Vögel verziehen sich in den warmen Süden. Also Zeit, sich so langsam mal wieder Gedanken um die Geschenke für sich und die Lieben zu machen.

Ich empfehle natürlich den Griff zum guten Buch, denn was kann schöner sein, als gemütlich auf dem Sofa in einem wunderschönen Buch zu schmökern, der Fantasie freien Lauf zu lassen, wenn draußen typisch norddeutsches Schietwetter, Schneegraupel und graue Tristesse vorherrschen. Meine heutigen Tipps spielen sich im Süden Europas ab und kommen als Graphic Novel, wunderschön bebilderter Reiseführer aus Genuss und Geschichte, sowie als Foto-Bildband daher.

Mein erster Band stammt von einem Giganten der französischen Kultur: Jean-Jacques Sempé, der leider kurz vor seinem 90. Geburtstag am 11. August 2022 in Paris verstorben ist. Der 1932 in Bordeaux geborene Zeichner und Maler wurde hauptsächlich berühmt für seine so legendären Figuren wie „Der kleine Nick“, „Catherine, die kleine Tänzerin“ und „Herr Sommer“.

Dabei haben die Aquarelle und zeichnerischen Arbeiten von „Sempé“ überhaupt nichts Gigantisches, Übergroßes oder gar Gewaltiges, sondern leben von seiner Lustigkeit, Heiterkeit und Leichtigkeit. Sempé war ein Meister des Schmunzelns, dessen Ursache stets ein wenig im Unklaren bleibt. Ihm reichen ein paar Striche, ein paar andeutungsreiche Details und eine blasse Farbigkeit um ein Universum der menschlichen Existenz zu schaffen.
So auch in seinem aktuell, kurz nach seinem Tod erschienenem Band: „Wir machen Ferien“. Da stolzieren drei ältere Damen mit Sonnenbrillen, Strohhut und Strandtasche im grellen Sonnenlicht auf einer Promenade am Meer entlang oder ein älterer Herr mit Brille, der barfuss und mit aufgekrempelten Hosenbeinen verträumt in den Sonnenuntergang am Meer blickt. Es ist diese Menschlichkeit, gleichzeitig schüchtern und irgendwie bescheiden, aber auch etwas schrullig und liebenswürdig.

Auch sind die Größenverhältnisse in seinen irritierend komischen Bildern mitunter sehr frappierend: Da schlagen sich drei nur ganz undeutlich angedeutete Jungs durch ein großes, gelb-grünes Meer aus Gras, Blumen und riesigen Bäumen, oder zwei einsame Posaunisten sitzen und musizieren an einem Pool unter nachtblauem Sternenhimmel - köstlich. Das hat einerseits etwas von Abenteuer, dann aber auch wieder etwas traurig isoliertes. Die Welt Sempés ist zeitlos, ohne politische Dramen und Konflikte.

Ferien, das ist für Sempé unendliche Gelassenheit und Melancholie. Seine Figuren liegen im Gras im Schatten eines Baumes, dämmern, dösen, schlafen oder lesen entspannt. Andere schlecken genußvoll am Eis, plantschen ausgelassen im Wasser oder genießen einen Drink auf dem Balkon, während sich unten das Strandleben abspielt. Es sind diese scheinbar alltäglichen kleinen Momente des Lebens, des Augenblicks, die diese Leichtigkeit in seinen Bildern erzeugen. Die Figuren sind keine Helden, sondern jemand wie Du und Ich. Dabei hat der Mensch seine Kindlichkeit bewahrt ohne lächerlich zu sein. Ein entspanntes, versonnenes, verträumtes Alterswerk eines großartigen Künstlers, der leider von uns gegangen ist.

Sempé: Endlich Ferien, Diogenes, Zürich, 24. August 2022, 84 Seiten, Amazon.

Mein zweiter Buch-Tipp stammt vom Schotten Martin Walker, der seiner Wahlheimat, dem französischen Perigord, ein literarisches Denkmal aus Geschichte und Geschichten, kulinarischen und architektonischen Genüssen und wunderbaren Fotos gesetzt hat. Berühmt geworden ist der 1947 in Schottland geborene Schriftsteller durch seine äußerst erfolgreiche Krimiserie rund um den sympathischen Dorfpolizisten „Bruno“. Dieser liebenswürdige Kriminalist ist nicht nur ein Gourmet und fantastischer Koch, sondern auch ein Freund der Frauen und herrlichen Landschaften und der Geschichte seiner Heimat. Mit diesem Band führt Martin Walker bildgewaltig und historisch ausführlich dokumentiert an die Schauplätze seiner Romane und zu den schönsten Plätzen der Region, die Lust zu einer persönlichen Reise ins Perigord machen.

Ich habe bereits hier einige seiner Krimis, aber auch das wunderbare Kochbuch von Bruno vorgestellt. Denn gerade die kulinarischen Spezialitäten und Weine dieser uralten Region, die viel älter ist als Frankreich, spielen immer einen sehr wichtigen Teil in seinen Büchern. Dabei ist der gelernte Historiker und Ökonom 27 Jahre lang als Journalist und Auslandskorrespondent für den britischen Guardien unterwegs gewesen und hat zahlreiche Sachbücher verfasst. 1999 ließ er sich dann aber mit seiner Familie in einem kleinen Dorf im Perigord nieder. Inspiriert von Bewohnern und Freunden begann er dann 2008 mit seiner Reihe um „Bruno - den Chef de police“. Bis heute sind sechs dieser regionalen Krimis in deutscher Übersetzung erschienen.

Das Perigord, das eigentlich seit der französischen Revolution, also vor nun bereits über 200 Jahren, offiziell in Dordogne umbenannt wurde, zählt zu den ältesten Siedlungsgebieten der Menschheit. „Schon vor bis zu 300.000 Jahren lebten hier die ersten Menschen im Schutz der charakteristischen Höhlen und Überhänge. Die Cro-Magnon-Menschen, unsere Vorfahren, sind nach einer der bekanntesten prähistorischen Fundstelle der Welt im Perigord benannt. Im Tal der Vézère haben sie uns mit ihren kunstvoll bemalten Höhlen ein faszinierendes Zeugnis ihrer Kultur hinterlassen, das heute zum Weltkulturerbe zählt“.

Eine kurze Chronik des Perigords von der ersten menschlichen Besiedlung um 300.000 v.Chr. über das Aussterben der Neandertaler (35.000 v. Chr.) und das Auftauchen der Cro-Magnon-Menschen (40.000 v.Chr.) bis hin zu der Besiedlung durch die Gallier (450 v.Chr.) und Römer (bis 410 nach Chr.) bis in die Gegenwart erzählt die Geschichte, während eine Karte die prähistorischen Fundstätten im Vèzére-Tal verdeutlichen. Im Mittelalter war dieser Landstrich ein heiß umkämpftes Gebiet zwischen Engländern und Franzosen (Hundertjähriger Krieg), aber auch zwischen den Religionen (Katholiken, Protestanten und Hugenotten). Heute profitiert vor allem der Fremdenverkehr von dieser reichhaltigen Historie. Nicht zu Unrecht wird das Perigord auch das „Land der 1001 Burgen“ genannt.

Gleichfalls gilt diese Region als eine Schatzkammer für Feinschmecker. Entenstopfleber und die berühmten schwarzen Trüffel spielen oft eine Rolle in den Bruno-Romanen, sind aber auch bei den Gourmets aus aller Welt beliebt. In diesem Sinne verführt Walker seine Leser/innen in diesem Band sowohl in die ländliche Idylle, als auch zu Trips in die größeren Städte wie Bordeaux oder in die Wein-Stadt des Bergerac. Natürlich gibt es auch wieder einige wunderbare Rezepte zum Nachkochen, und am Ende des Buches listet er die schönsten Restaurants, Herbergen und Märkte auf, die man besuchen sollte, falls man einmal das Perigord persönlich für eine Woche besuchen möchte. Ein Buch, das Lust macht auf eine Weintour oder hin zu den schönsten Schlössern, Burgen, Bastiden und Gärten der Region.

Martin Walker: Brunos Perigord, Diogenes, Zürich, 28. September 2022, 288 Seiten, Amazon.

Mein dritter Buch-Tipp ist mal wieder einer der wunderbaren Fotobände aus dem Hamburger Mare-Verlag. Diesmal stammt es vom italienischen Fotografen Giovanni Cocco, der sich die süditalienische Hafenstadt Neapel vorgenommen hat und die er für die Arbeit am Bildband insgesamt zwölfmal besucht hat.

Die Metropole am Vesuv lebt förmlich auf einem Pulverfass, was von den Bewohnern aber absolut ignoriert wird. Dieser „Tanz auf dem Vulkan dürfte der vielleicht abgegriffenste, doch treffendste Begriff für das Lebensgefühl der Neapolitaner sein, das Wissen, dass es jeden Moment vorbei sein kann mit der eigenen Existenz, dass das Verderben unter deinen Füssen lauert, dass die Erde tanzt, wie man hier sagt, wenn sie sich bewegt, und dass aus dem Tanz urplötzlich ein Totentanz werden kann, eine ganze Stadt begraben wird unter dem, was in den Tiefen brodelt und sich über sie ergießt“, schreibt Zora del Buono im Vorwort. Aber das ist nur eines der vielen Klischees, wenn auch ein ernsthaftes, denen der Fotograf Giovanni Cocco nicht ausweicht.

Natürlich kommt er am Fußball-Helden „Maradonna“ nicht vorbei, der in Neapel zu seiner Höchstform auflief und den Ball und die Fans tanzen ließ. Dass dieser gleichzeitig viele Steuern hinterzogen hatte und später im Drogensumpf versank, wird ebenfalls ignoriert. Genauso wie die Mafia, die in der Stadt natürlich immer noch das Sagen hat. Als Camorra-Hauptstadt kann das Chaos in den Straßen und dem unüberschaubarem Gewirr der kleinen Gassen der Altstadt jederzeit in Gewalt umschlagen. Diese Wirklichkeit findet sich nicht in den Bildern des Fotografen, dafür aber im Einführung-Essay von Zora del Buono, Mitbegründerin des Mare-Verlages.

Dafür lässt Giovanni Cocco die Stadt aber in allen Farben und im besten Licht erstrahlen. Er fängt die opulente Schönheit der Stadt zu allen Tageszeiten ein, eine Schönheit, die immer am Rande des Verfalls besteht. Seine Fotos sind mal gegenlichtig oder in gleißendes Sonnenlicht getaucht. Schatten und grelle Farben wechseln sich ab. Und natürlich ist das Meer meist nicht weit. Den besten Blick auf die geschichtsträchtige Stadt hat man sowieso von einem Schiff aus, auf dem man rüber zu den Inseln im Golf von Neapel schippern kann. Ischia und Capri sind nicht weit weg.

Gemeinsam mit dem Fotografen kann man herrlich durch die Stadt und diesen Bildband flanieren, durch die Pracht der Geschichte genauso wie durch den Verfall. Alles liegt in Licht und Schatten. Da vergammeln alte Motorräder und Schrottautos in irgendeiner heruntergekommenen Ecke, während gleich nebenan Menschen entspannt durch eine Luxus-Shopping-Straße flanieren. Mittunter leicht voyeuristisch anmutende Porträts von arbeitenden Menschen, die er heimlich durch ein Fenster fotografiert hat, kontrastieren mit wilden Tänzern, die sich auf queeren Parties austoben. Jugendliche fröhnen dem Badespaß an einem der diversen Strände der Stadt und Nonnen tragen ihre Einkäufe zurück ins Kloster. Giovanni Cocco ist ein aufmerksamer Wanderer durch die Stadt und hat ein gutes Auge für die kleinen Details. Er zeigt uns erhabene Aussichtspunkte und banale Alltagsperspektiven, mal ist sein Blick fast schon abstrakt, dann wieder belohnt er den Betrachter mit morbider Schönheit der Architektur oder grandiosen Küstenlandschaften.

Was besonders auffällt, ist, dass die Fotos zunächst ohne Titel oder Beschreibungen auskommen. Man kann also erstmal völlig unvoreingenommen durch diese widersprüchliche Stadt mit dem Auge spazieren gehen, sich erinnern, inspirieren lassen oder auch träumen. Wer es genauer wissen will, findet am Ende des Buches alle Fotos mit Erklärungen im Kleinformat. Zusammen mit dem sehr informativen Begleit-Essay von Zora del Buono ergibt sich so ein sehr rundes Ergebnis, das Lust auf einen Besuch macht.

Giovanni Cocco: Neapel - Foto-Bildband mit Texten von Zora del Buono, Mare-Verlag, Hamburg, 20. Septzember 2022, 132 Seiten, Amazon.

Die Bücher sind in den inhabergeführten Buchhandlungen BellingProsa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR, Störtebeker und Buchstabe erhältlich.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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