Peter A. Bauer

Magische Spiele mit der „Zauberflöte“ von der Taschenoper Lübeck
Nie hab ich so etwas gehört noch gesehn!

Für Kinder ein eigenes Opernhaus? Lübeck hat es, es ist das, was sich hinter dem Kürzel „TOL“ verbirgt, die Taschenoper Lübeck.

Eigentlich gibt es sie schon lange, anfangs ohne eigenen und beständigen Sitz, dann 14 Jahre in Kooperation mit dem Stadttheater an der Beckergrube. In der Königstraße 17 hat sie nun endlich im Theaterhaus der Gemeinnützigen ein professionell ausgestattetes Domizil gefunden. Am 3. Oktober 2021 wurde es mit „Das Magische Game“ in Besitz genommen.

„Große Oper für kleine Menschen“ ist und bleibt das Motto der Taschenoper auch im neuen Haus. Denn es gilt, mit Ernst und Spaß die sperrige Kunstform Musiktheater an Kinder heranzutragen und die Werke für sie fassbar zu machen. Sie sollen erleben, wie Musik eine Handlung vertieft und Freude oder Spannung bringt. Musik kann eben mehr als das Wort. Solche Erfahrungen wecken, so hofft man, früh die Lust auf Oper.

Häufig hat die Taschenoper bei der Wahl ihrer Produktionen sich an die Opernsparte im Theater angelehnt, bei Wagners „Ring“ zum Beispiel oder Mozarts „Entführung“. Zählte man all ihre Schöpfungen zusammen, käme schon ein kleiner Opernführer (oder Opernführer für Kleine) zusammen, wobei immer der schmale Grat zwischen Vereinfachung und Vergröberung eingehalten wurde.

Kolja Martens, Tobias Zepernick, Marlene Metzger, Marie Sofie JacobKolja Martens, Tobias Zepernick, Marlene Metzger, Marie Sofie Jacob 

Das wurde auch andernorts anerkannt und brachte Einladungen zu Festivals in Innsbruck oder Luzern, auch beim SHMF, oder durch Preise wie den beim Rheingau Musik Festival. Wer zudem durch verschiedene Institutionen gefördert wird wie dem Hauptstadtkulturfond, dem Fond Darstellende Künste oder durch ASSITEJ, der Internationalen Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche, muss schon überregional hervorstechen.

In Lübeck hat das Theater jetzt also eine Anschrift, die es mit einer begeisternden Inszenierung der „Zauberflöte“ ins Bewusstsein hebt. Mit dieser Oper hat Wolfgang Amadeus Mozart eines der geheimnisvollsten und komplexesten Werke geschaffen. Es hat schon immer fasziniert, wie Märchenhaftes mit Hintergründigem und Komisches mit Dramatischem verbunden ist und alles zu einer Musik, die beliebt ist wie kaum eine andere Opernmusik, dabei so einfach wie kunstvoll.

Viele Jahre hat sich die Taschenoper mit dem Projekt auseinandergesetzt, bis man das Konzept gefunden hat. Die Handlung konzentriert sich jetzt im Kern auf vier Personen. Es ist eine mehr oder weniger eng verbundene Freundschaftsgruppe. Sie gerät in Streit, weil einer sich in das hineinflüchtet, was in der Jugendsprache als Game, als virtuelles Spiel bezeichnet wird. In den anderen möchte er nun die Figuren dieser Scheinwelt erkennen. Im Spiel agiert er als Tamino, seine Freunde werden für ihn zu Papageno und Papagena und zu Pamina, die er retten muss. Sie nimmt das Spiel an, vermischt am meisten die Realität mit der Fiktion der anderen Welt. Sie liebt ihren Tamino auch im Realen, während er erst einige innere Prüfungen bestehen muss, um auch seine Zuneigung zu erkennen.

Marlene Metzger, Tobias Zepernick, Marie Sofie JacobMarlene Metzger, Tobias Zepernick, Marie Sofie Jacob 

Zwei weitere Personen sind aus dem Personal der „Zauberflöte“ mit von der Partie. Zum einen ist es die Königin mitsamt dem Damengefolge, hier nicht Mutter, sondern schlicht nur Schwester von Pamina. Zum anderen darf ihr Widersacher Sarastro nicht fehlen, im Spiel ein Gangsterboss, in der realen Ebene der Musiklehrer des jugendlichen Kleeblatts. Sie treffen sich in einer Art Schule, wo er ein Verführer zum Singen wird. Man sieht: Das Handlungsgefüge ist ebenso kunstvoll verwirrend wie das Original - und ebenso mitreißend wie heiter.

Komplizierter, Mozarts Oper wiederzuerkennen, wird es noch durch die Musik, von der sehr vieles, vor allem das gut Singbare und Ohrenläufige aus der Partitur übernommen wurde, nur teils in ganz anderen Zusammenhängen und mit neuen Texten. Aber die jungen Zuhörer, auch einige Erwachsene, wird das nicht stören. Julian Metzger hat gekonnt alles, was zum Ohrwurm werden kann, neu verkuppelt und dafür, trotz der schmalen Besetzung mit nur je einem Pianisten (sehr zuverlässig Linhan Sung) und Perkussionisten (mit ansteckender Spiellaune Peter A. Bauer), eine verblüffende wie abwechslungsreiche Klangvielfalt gefunden. Dabei helfen auch die Sänger. Grandios wurde etwa das polyphone Gezänk der drei Damen auf Melodicas übertragen. Schon das, wie sie die Instrumente beherrschen, verblüffte. Ein anderes Beispiel ist, wie ganze Arien auf dem Kazoo gesungen oder auf der Nasenflöte artistisch und überaus komisch gespielt werden. Spaß machte das allen Mitwirkenden, auch dem Publikum. Das wird die von Pamina einstudierte Chorpartie von Monostatos‘ Leibgarde bis in die Nacht vor sich hin gesungen haben: „Das klinget so herrlich, das klinget so schön!“

Margrit DürrMargrit Dürr

Selbstredend können die Texte nicht die sein, die Emanuel Schikaneder sich einst für Mozart erdachte. Das neue, recht hintersinnige Libretto verfasste Margrit Dürr, Impresaria und Mitgründerin der Taschenoper. Immer wirkt sie mit, hier als 3. Dame und als die, die die Zauberflöte zum Klingen bringt. Dabei leistet sie mit einem Kazoo, in das man die Melodie hineinsingt, Magisches. Zum ständigen Team gehören seit Anbeginn zudem Sascha Mink und Katia Diegmann, die in Regie und Ausstattung wieder viel zum Erfolg beitrugen. Bewundernswert vor allem, wie sie den drei Damen mit ihrer Weltraumritterkleidung so schnelles Kostümwechseln möglich machten und wie sie mit drei leicht beweglichen Lichtsäulen immer neue Stimmungen und Ortswechsel zauberten – und alles bei einem rasanten Spieltempo. Bewundernswert aber auch, wie das Tempo und die Kostümwechsel und die zeitweise wirklich schwierigen Gesangsaufgaben die Solisten nicht atemlos werden ließen.

Alles wirkte selbstverständlich und gekonnt, bei der versierten Margrit Dürr sowieso, die oben bereits als dritte Dame erwähnt wurde. Die beiden anderen Damen, im Alter Ego als die Freundinnen in der Clique, sangen Marie Sofie Jacob und Marlene Metzger. Wunderbar lebendig und ausdrucksvoll in ihrem Spiel waren beide, im Gesang nicht minder. Marie Sofia Jacob, sehr bühnenpräsent, hatte zudem die schweren Partien als Königin und als Papagena zu meistern, während Marlene Metzger eine hinreißende Pamina gab. Sie sang nicht nur auffallend nuanciert, sie konnte in ihrem Erdbeerkleid die Zuschauer auch auf ganz feine Art zum Mitsingen bewegen. Diese Vielseitigkeit ist eigentlich kein Wunder bei dem Elternhaus, bei der Mutter Margrit Dürr und dem Vater Julian Metzger. Bei so viel Familienpower und bei so viel Können darf um ein Weiterbestehen der TOL keine Sorge aufkommen, zumal die Bearbeitungen ihrer Opern länger schon im renommierten Musikverlag RICORDI erscheinen.

Marlene Metzger, Marie Sofie Jacob, Margrit DürrMarlene Metzger, Marie Sofie Jacob, Margrit Dürr

Es ist immer das Anliegen der Taschenoper, ihre jungen Zuhörer auch mit großer Sangeskunst zu beeindrucken. Die brachten auch die Männerstimmen. Tobias Zepernick als Tamino hat einen ausdrucksvollen und schön timbrierten Tenor und Kolja Martens als Papageno einen sehr lebendigen Bariton. Tobias Hagge schließlich als bassiger Sarastro und Schulmeister sang so gut wie er spielte. Auch er gehört zum Team und ist für Konzeptionelles zuständig.

Wer bei diesem Neustart das „Magische Game“ erlebte, zudem eine Reihe der anderen Schöpfungen schon gehört hat, wird es zu der fesselndsten Bearbeitung bisher zählen. Spielwitz und eine in sich stimmige wie fantastische Handlung zeichnen das aus, was auch Urteil derer war, die begeistert werden wollten. Aussagekräftiger noch als ihr Applaus mit Händen und Füßen war der Wunsch, auf dem Nachhauseweg ausgesprochen: „Wann können wir da noch einmal hin?“

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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