NDR-Filmpreis-Gewinner Tarik Saleh mit Tochter im Video zugeschaltet.

NFL 2022
Überschwängliche Filmgala der 64. Nordischen Filmtage

Riesenstimmung bei Preisträgern und Publikum herrschte im Lübecker Theater bei der diesjährigen Filmpreis-Gala. Dabei begann die Veranstaltung schon fast mit einer filmreifen Slapstick-Nummer bei der Begrüßung der charmanten Moderatorin des Abends, der Schauspielerin Loretta Stern an die Macher der Filmtage, die Geschäftsführerin Susanne Kasimir und den Künstlerischen Leiter Thomas Hailer.

Beim Betreten der Bühne verfing sich der Absatz von Frau Kasimirs Pumps im Bühnenboden. Danach verlief die Preisvergabe der insgesamt 11 Filmpreise aber störungsfrei.

Dabei war der Andrang zu Beginn der glanzvollen Veranstaltung im Theater der Hansestadt groß und der Rosé-Sekt floss in Strömen. Gesichtet wurde wie gewohnt die politische Prominenz der Stadt (u.a. Bürgermeister Lindenau, Stadtpräsident Puschaddel und Bundestags-Abgeordneter Klüssendorf), die ehemalige Filmtage-Chefin Linde Fröhlich mit Freundinnen, sowie jede Menge Filmschaffende und Kulturfreunde aus dem gesamten Norden.

Kameramann Jarmo Kiuru nimmt den Preis der Jugendjury für "Girls, Girls, Girls" entgegen.Kameramann Jarmo Kiuru nimmt den Preis der Jugendjury für "Girls, Girls, Girls" entgegen.

Niedlich wie immer die siebenköpfige Kinderfilm-Jury, die den Kinderfilm „My Robot Brother“ von Frederik Noergaard erst nach langen Diskussionen für den Preis ausgewählt hatte. Der Regisseur erschien per Video als verkleidete Puppenfigur auf der Leinwand. Gleich zweimal wurde dann der Streifen der Finnin Alli Haapasalo „Girls, Girls, Girls“ ausgezeichnet. Sowohl die Jugendjury, als auch die Sparkassen-Stiftung fand den Film über drei Freundinnen besonders preiswürdig, weil angesagte Themen wie Liebe, Freundschaften, Sex, Queerness und Toleranz unter Jugendlichen angesprochen wurden. Die hochschwangere Regisseurin zeigte im Video aus Helsinki ihren Babybauch und bedauerte, dass sie aus gegebenem Anlass nicht in Lübeck sein konnte.

Der Dokumentarfilm-Preis des DGB, der von Bettina Fuchs präsentiert wurde, ging ebenfalls nach Finnland, an Susanne Helke für ihren Film „Ruthless Times - Songs of Care“ über die harte Arbeit von Pflegekräften in Heimen und Pflegeeinrichtungen, die wunderbar im Chor singen.

Marion Kracht und Hallvar Witzö (Publikumspreis der LN)Marion Kracht und Hallvar Witzö (Publikumspreis der LN)

Der Baltische Filmpreis, laudatiert von Piret Tibbo-Hudgins aus Lettland präsentierte den isländisch-norwegischen Film „Godland“ von Regisseur Hlynur Pálmason, der die Reise eines Pastors quer durch die wilde Landschafts Island im 19. Jahrhundert zeigt. Wie nicht anders erwartet, ging der Publikumspreis der LN, der diesmal von einer ausgewählten 7-köpfigen Leser-Jury präsentiert wurde, an den lustigen, aber hoch explosiven Streifen „Alle hassen Johan“ von Hallvar Witzö. Die skurrile Geschichte aus dem hohen Norden Norwegens lässt mit seiner sprichwörtlichen Sprengkraft viele Kollateralschäden, aber auch deftige Lacher aufkommen, wenn es um Hass und Liebe geht, köstlich.

Die wichtigsten Preise heimste aber der schwedisch-ägyptische Filmemacher Tarik Saleh aus Stockholm ein. Sein Religions-Thriller-Drama „Boy from Heaven“ spielt an der berühmten Koran-Schule in Kairo, (musste allerdings in der Türkei gedreht werden, weil es in Ägypten keine Film-Erlaubnis gab) und hatte bereits in Cannes den Drehbuch-Preis erhalten. Es geht um den Sohn eines Fischers, der ein Stipendium zum Studium des Islam erhält, dann aber in die mörderischen Intrigen um die Nachfolge des verstorbenen Imams der Koran-Schule zwischen Moslem-Bruderschaft und Geheimdienst des Landes gerät. Der hoch brisante und spannende Streifen orientierte sich zum Beispiel an dem Film „Der Name der Rose“ von Umberto Eco und ist unbedingt sehenswert.

Äußerst preiswert entpuppte sich der musikalische Haupt-Act der diesjährigen Film-Gala. Das Publikum musste nämlich selbst singen. Angeleitet von Ulli Hausmann und Knut Peters von der Gröööööl-Gruppe aus dem Combinale-Theater wurden Pop-Perlen wie „Mamma Mia“ von Abba und „Simply the Best“ von Tina Turner stehend und begeisternd mutgrölend intoniert. Besonders schade war, dass die meisten Preisträger nicht persönlich in Lübeck anwesend sein konnten, weil sie gerade andere Projekte am Start hatten oder schwanger waren.

Dafür gab es aber zumindest recht amüsante Videos, wie von Tarik Saleh, der mit seinen Kindern vor der Kamera rumalberte oder vom Isländer Pálmason, der sich und die isländische Landschaft durch ein Fenster in Szene setzte. Anmerken muss ich aber auch, dass das Catering aus veganer und vegetarischer Kost eher bescheiden ausfiel und einer feierlichen Preis-Gala eher nicht würdig war. Schade eigentlich, vielleicht sollte man da die kulinarischen Sponsoren doch einmal anspornen, etwas mehr Geld für eine ansprechende Versorgung der vielen Gäste auszugeben.

Die Preisträger und ihre Macher

Preis der Kinder-Jury: „My Robot Brother“ von Frederik Noergaard.

Preis der Jugend-Jury: „Girls, Girls,Girls“ von Alli Haapasalo

Kinder- und Jugendfilm-Preis der Sparkassenstiftung: „Girls, Girls,Girls“ von Alli Haapasalo

Nordischer & Baltischer Kurzfilmpreis: „The School by the Sea“ von Solveig Melkeraaen

Cinestar-Kurzfilm-Preis: „und starben an dem gleichen Tag“ von Pola Rader

Dokumentarfilmpreis des DGB Nord: „Ruthless Times - Songs of Care“ von Susanna Helke

Baltischer Filmpreis: „Godland“ von Hlynur Pálmason

Kirchlicher Filmpreis Interfilm: „Boy from Heaven“ von Tarik Saleh

Publikumspreis der LN: „Everybody hates Johan“ von Hallvar Witzö

Preis des Freundespreis für das beste Spielfilmdebüt: „The Great Silence“ von Katrine Brocks

NDR Filmpreis: „Boy from Heaven“ von Tarik Saleh

Insgesamt wurden Preise im Wert von 63.000 Euro in Form eines typischen Lübecker Backsteins vergeben.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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