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3. Sinfoniekonzert
Lübecker Philharmoniker mit Starprogramm

Viel Herausragendes hat der Konzertbesucher der Lübecker Philharmoniker in den ersten beiden Programmen dieser Saison schon zu hören bekommen. Und auch das dritte (26. und 27. November) war wieder auf feine Art gestaltet und bot zudem zwei außergewöhnliche Gäste und den hochgeschätzten Klang der Klarinette im Zentrum.

Als Dirigent war Michael Hofstetter gekommen. In München ist er geboren und hat eine vielseitige Karriere hinter sich, die ihn 2020 zum Intendanten der Internationalen Gluck-Festspiele Nürnberg machte. Das aber brachte ihn nicht nach Lübeck, sondern sein Können als Dirigent und Kenner alter Aufführungspraxis. Diese Fähigkeiten waren auch in der Vergangenheit von den Lübecker Philharmonikern gefragt. Auch wenn sie ausgesprochen vielseitig sind, ist ihr Aktionsfeld doch zumeist die hochklassische, romantische und moderne Sinfonik. Deshalb werden besondere Lehrmeister gern eingeladen, um mit ihm noch weitere Spieltechniken zu festigen. Jeder einigermaßen Bewanderte weiß, dass die barocke, frühklassische oder zur Romantik führende Instrumentalmusik andere Spielweisen verlangt, weshalb Werke aus diesen Epochen in Lübeck seltener zu hören waren. Hier nun bestimmten sie den ganzen Abend.

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Hofstetter hatte, um das Ergebnis dieser stilistischen Feinarbeit zu demonstrieren, die Interpretation dreier Werke in seinem Programm zusammengefasst. Alle haben sie einen eigenen Charakter, auch stilistisch ein eigenes Gesicht, obwohl sie alle in dem engen Zeitraum von nur sieben Jahren entstanden sind. Was passt da besser, als eine Ouvertüre an den Anfang zu stellen? Gewählt wurde das theatralische Auftaktstück zum „Coriolan“, zu einem Drama, das heute nur noch durch eben diese Ouvertüre bekannt ist. 1807 hatte Ludwig van Beethoven sie im Alter von 37 Jahren komponiert und dafür die Tonart c-Moll gewählt. Seinerzeit war sie für Düsteres zuständig. Auch jetzt noch ziehen die kraftvollen Akzentschläge, das gehetzte Tempo, die fliehende Thematik, die nur zwischendurch einen etwas freundlicheren Ton erhält, den Hörer in den Bann.

Beethoven zeichnet nicht das Leben, sondern allein die divergente Psyche eines Despoten, der mit Selbsttötung aus dem Leben scheidet. Er konnte seine Schuld am Sterben anderer, das er aus Machtgier herbeigeführt hatte, nicht ertragen. Rasant ließ Hofstetter die Musiker das nachzeichnen, malte mit straffem Ton und hoher Energie bis zum überraschend zarten Ende hin, wie Beethoven Coriolan sah. Nachträglich gibt es Anlass zu fragen, ob Coriolans Handeln ein Vorbild für heutige Herrscher sein könnte? Viele Staaten wären führungslos.

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Bei dem nächsten Programmpunkt stand nicht nur die Klarinette im Zentrum, sondern die Solistin Sabine Meyer. Sie füllte als Mitbürgerin auch an dem zweiten Auftritt am Montagabend die Halle, wie sie lange nicht bei sinfonischer Musik besetzt war. Aufzuzählen, wie sie das mit ihrem Klarinettenspiel und ihrer starken Persönlichkeit erreichte, ist nicht möglich. Nur dies sei exemplarisch erwähnt, dass sie etliche Jahre an der Musikhochschule Lübeck wirkte, dass sie Solo-Klarinettistin bei den Berliner Philharmonikern war, als Kammermusikerin in unterschiedlichen Ensembles und als Solistin weltweit auftrat oder 2018 Porträtkünstlerin beim SHMF war. Durch ihre vielen Auszeichnungen ist sie wohl jedem in Lübeck bekannt, womit der Aussage, dass der Prophet im eigenen Lande nichts gilt, wieder einmal zu widersprechen ist.

Für ihren Auftritt hatte sie sich Carl Maria von Webers 1. Klarinetten-Konzert ausgesucht, das er 1811 im Alter von 25 Jahren komponierte. Es fügte sich nahtlos in das gesamte Programm, zumal es nur vier Jahre später als Beethovens Ouvertüre komponiert und aufgeführt wurde. Es machte zudem schon im ersten, einem sehr stimmungsreichen Satz, über die weite Ausdruckskraft der Klarinette staunen, die sich erst als Orchesterinstrument durchsetzen musste. Durch viele technische Erfindungen wurde sie zu Beginn der frühen Romantik zu dem, was sie heute ist, zu dem herausstechenden Holzblasinstrument, das alles kann.

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Wie wunderbar klingen die seelenvollen Melodien, wie virtuos kann sie durch alle Register eilen und zu welchen dynamischen Effekten ist sie fähig. Besonders faszinierte im zweiten Satz, wie Sabine Meyer die empfindsamen Kantilenen gestaltete und ihr Klarinettenton sich mit den drei Naturhörnern verband. Mit dem beflügelten Ausdruck im quirligen Rondo, dem Finale, riss sie alle hin. Dass eine Zugabe folgen musste, war klar. Dass die Solistin eine wählte, in der sie das begleitende Orchester würdigte und mit einbezog, passt ebenfalls zu dem, wie sie Musik und Musizieren versteht. Die Streicher begleiteten sie bei dem ungemein kecken „Menuetto Capriccio“, dem Beginn des dritten Satzes aus Webers Klarinettenquintett.

Nach der Pause beschloss Franz Schuberts 3. Sinfonie den Abend, ein Werk eines erst 18-Jährigen, 1815 komponiert. Es passte so recht als Finalstück mit seinem heiteren, vorwärtsstrebenden Charakter. Was war dem jungen Komponisten da schon alles an feinsinnigen Gestaltungsideen und kecken Melodien zugeflogen. Nach der spannungsvollen zweiteiligen Einleitung gab die Klarinette mit ihrem springlebendigen Hauptthema den Ton an. Der zweite Satz war regelkonform eigentlich als langsamer Satz zu konzipieren, Schubert fand dagegen ein Allegretto mit einem volksliedhaften Eindruck besser. Und im Mittelsatz spielte wieder die Klarinette die Hauptrolle. Wie im dritten Satz die widerborstige Akzentuierung des dritten Taktteiles für Munterkeit sorgt und im Finalsatz der 6/8-Takt die Nähe zu südländischer Tarantella-Lust bringt, ist von überwältigender Lebensfreude. Langer Beifall dankte wie nach dem ersten Teil den Ausführenden.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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