Stanislav Kochanovsky, (c) Marco Borggreve

Musik- und Kongresshalle Lübeck
Die NDR-Radiophilharmonie präsentierte Werke von Schumann und Elgar

Man kann nicht umhin: Zwei Sinfoniekonzerte in der MuK im Abstand von nur drei Tagen zwingen zu einem Vergleich. Am Sonntag und Montag spielten die Lübecker Philharmoniker auf, am Donnerstag, es war der 30. November 2023, saßen die NDR-Radiophilharmoniker aus Hannover auf dem gleichen Podium.

Dass sie auf dem langen Weg nach Lübeck in einen Stau gerieten, ist Pech. Dass sie deshalb eine Viertelstunde später begannen, nahm das Publikum gelassen hin, auch, dass das Konzert statt der üblichen zwei Stunden Dauer gut 20 Minuten einsparte, kann Zufall sein, - oder doch nicht? Denn Gleiches war bei den Lübeckern zu beobachten. Bei ihnen war es sogar eine halbe Stunde.

Deutlich dagegen war die Kongruenz der Programme, die Land auf, Land ab normiert sind: In diesem Fall nun boten beide Orchester anfänglich eine Ouvertüre mit einer Spielzeit unter zehn Minuten, dann das übliche Solokonzert und nach der Pause ein Orchesterstück. Dass es am Donnerstag statt einer Sinfonie ein Variationen-Werk wurde, dazu eines von rätselhafter Seltenheit, lässt hoffen, weil damit winzige Normabweichungen gewagt wurden. Dennoch sei gefragt, ob solche latente Monotonie nicht wenigstens für die MuK vermeidbar wäre. Käme ein planendes Vorgespräch zwischen NDR und dem Lübecker Orchester nicht beiden entgegen? Es war aber offensichtlich seit Jahr(zehnt)en nicht möglich. Das verwundert. Dabei ist die Nähe der Termine das eine, die der Programme das andere, und beides bewirkt unnötige Konkurrenz. In diesem akuten Fall ist sicher der NDR der Verlierer, der, wie zu hören, der Planungsverweigerer ist. Bei der Fülle seiner Veranstaltungen kann man ein gewisses Verständnis dafür haben, aber das dennoch nicht als zwingenden Grund ansehen.

Verlierer war der NDR allemal beim Blick auf die leeren Sitze im Saal. Wenn man dann noch bedenkt, dass die Lübecker gleich an beiden Tagen bei der Platzausnutzung die Nase weit vorne hatten, darf man sich noch mehr wundern. Das tat auch ein Vertreter des NDRs in einem privaten Gespräch. Aber dabei alles auf den Popularitätsvorsprung des Solo-Stars zu schieben, den die Lübecker präsentierten, trifft sicher zu kurz. Denn auch ein Pianist, der Schumanns so beliebtes a-Moll-Konzert präsentiert, erweckt normalerweise große Erwartung.

Mit den Hannoveranern war Stanislav Kochanovsky gekommen, 1981 in St. Petersburg geboren. Dieses Konzert leitete er noch als designierter Chefdirigent. Erst in der nächsten Saison wird er Andrew Manze, der im Juli 2023 nach fast zehn Jahren sein Abschiedskonzert gab, als Chefdirigent beerben. Dies Konzert war also ein kleiner Vorgeschmack auf seine inspirierende und präzise Arbeit. Schön auch zu erleben, wie das Orchester ihm in allen Phasen mit sichtbarer Spielfreude folgte.

Der Auftakt an diesem Abend war Robert Schumanns selten zu hörende Ouvertüre zu Schillers „Braut von Messina“. Knappe zehn Minuten dauerte sie, begann mit aufwirbelnden Streichern und wuchtigen Akkordschlägen. Wenn dann zart und geheimnisvoll auf Streichergrund eine Klarinettenphrase erklingt, weiß man, dass das Gehörte reine Romantik ist, gesteigert noch, wenn diese Wendung später klangschön mit dem Fagott verbunden wird. Auch straffe, fast ruppige Episoden gab es. Sie waren nötig, das Tragische der Schlussphase anzubahnen. Damit aber zeigte Schumann meisterlich, dass er Dramatisches spannend komponieren kann. Vom Orchester wurde das durch eine klare und dynamische Spielweise unterstrichen.

Alexander Gavrylyuk, Foto: (c) Marco BorggreveAlexander Gavrylyuk, Foto: (c) Marco Borggreve

So wenig bekannt die Ouvertüre wurde, die 1851 zur Uraufführung sogar Ablehnung erfuhr, so beliebt war Schumanns Klavierkonzert in a-Moll von Anbeginn. Bis heute ist es so. Und auch die Interpretation von Alexander Gavrylyuk untermauerte das wieder. Der Pianist wurde in der Ukraine geboren, lebte schon als Kind in Australien. In Deutschland ist er noch wenig bekannt, wird es nach diesem Debut bei dem Orchester wohl nicht mehr lange sein. Vom ersten Ton an gewann er durch sein Spiel Vertrauen, behutsam nahm er die Energie des Einstiegs zurück und erleichterte dem Orchester das romantische Hauptthema. Sehr langsam, nahezu tastend setzte das Orchester ein und ließ die Holzbläser ihren romantischen Ton entfalten. Solch ein Anfang war wahrlich delikat, leitete auch in der Fortsetzung eine wunderbare Gemeinschaft zwischen dem von Kochanovsky geführten Musikern und dem Solisten ein. Fabelhaft war der zweite Satz mit seinem dialogartigen Spiel zwischen Solo und Tutti, dem der sehr überzeugende Übergang zum Finalsatz mit seiner befreienden Wirkung folgte. Der Zuhörer durfte sich vertrauensvoll in diese fantasievolle Klangwelt hineinfallen lassen. So zwang auch hier der Applaus den Solisten zu einer Zugabe. Er wählte eine Bearbeitung der „Vocalise" von Sergej Rachmaninow aus dessen op. 34. Man konnte hören, wie ein Pianist sein Instrument das Singen lehrte.

Im zweiten Konzertteil kam dann ein rätselhaftes Preziosenspiel zum Klingen. Man konnte sich bei Edward Elgars „Enigma"-Variationen“ zunächst wie bei einer Wanderung durch eine Ausstellung fühlen. Ein innerer Zusammenhalt soll bestehen, war jedoch auch bei dieser Interpretation nicht zu entdecken. Stattdessen konnte der Zuhörer Elgars 14 Stationen in ihrer abwechslungsreichen Farbigkeit und feinsinnigen Gestaltung bewundern. Seine spätromantische Musiksprache bot keine Hörschwierigkeiten, allenfalls darin, den kurzen Beschreibungen im Programmheft bei einzelnen Stationen zu folgen. Dennoch war es reizvoll, in jedem einen Charakter zu entdecken, vielleicht sich die oder den von Elgar Porträtierten vorzustellen. Den Anfang bestimmte etwas Sehnsuchtsvolles und Weiches. Es soll das Portrait von Elgars Gattin sein. Es führte über unterhaltsam unterschiedliche Stationen zum temperamentvollen Finalstück, in dem Elgar ein Selbstbildnis versteckt hatte.

Der Beifall und sogar Bravorufe machten deutlich, dass Edwald Elgar Freunde gefunden hatte.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.