Cantus Thuringia, Foto: (c) Melanie Dulat

NDR Radiophilharmonie in der MuK
Ein „Barockes Weihnachtskonzert“ mit erlesener Kantaten- und Kammermusik

Wer es noch nicht mitbekommen hat, dem wurde am letzten NDR-Konzertabend wieder bewusst, dass der NDR zwei Orchester unterhält, jedes mit eigenen Ansprüchen. Seitdem vor 29 Jahren die MuK fertig war, waren es die NDR Elbphilharmoniker, die achtmal pro Saison auftraten. In dieser und in der Saison davor aber haben sie ihr Konzertangebot in Lübeck um ein Viertel verschlankt. Freilich hat der NDR zwei Abende nicht einfach gestrichen, sie wurden nur überraschend den NDR Radiophilharmonikern aus Hannover überlassen.

Die aber waren in Lübeck nicht unbekannt. Sie tauchten bereits im SHMF-Angebot mit besonderen Programmen auf, z. B. mit der Aufführung der vier Brahms-Sinfonien an zwei Tagen hintereinander. Auch das, was sie in der NDR-Konzertreihe im letzten Jahr spielten, etwa die beiden Klavierkonzerte von Brahms an einem Abend, war ungewöhnlich zu nennen, wie jetzt (16. Dezember 23) ein „Barockes Weihnachtskonzert“, das bei dem zweiten und damit letzten Auftritt in dieser Saison angekündigt war.

Die Philharmoniker, mehr im Repertoire der großen klassischen und romantischen Musik zu Hause, vielleicht noch in der des 20. Jahrhunderts, hatten sich ein überraschend anderes Metier gewählt. Dafür musste ein Fachmann her, der für die Spielweise der Musik vor der Romantik ein Spezialist war, auch für die des Barock. Michael Hofstetter hieß er. „In München ist er geboren und hat eine vielseitige Karriere hinter sich, die ihn 2020 zum Intendanten der Internationalen Gluck-Festspiele Nürnberg machte.“ Es sei erlaubt, sich selbst zu zitieren, denn der gleiche Dirigent leitete vor nur drei Wochen das 3. Sinfoniekonzert der Lübecker Philharmoniker, über das hier an gleicher Stelle berichtet wurde. Vielleicht ist es für ein Fachpublikum von Interesse, die feinen Aufführungsunterschiede zwischen Klassik und früher Romantik und der barocker Werke zu erspüren. Man kann aber auch in dieser Dopplung wieder die mangelnde Programmabsprache zwischen dem NDR und den Lübecker Programmmachern erkennen.

Michael Hofstetter, Foto: (c) Stuart ArmittMichael Hofstetter, Foto: (c) Stuart Armitt

Die Hannoveraner verabschiedeten sich also in diesem Jahr und kurz vor Weihnachten mit einem exquisiten Programm, bei dem sich eine kleine Auswahl der Orchestermusiker, etwa 20 mochten es gewesen sein, mit weiteren Instrumentalsolisten und acht Sängerinnen und Sängern des „Cantus Thuringia“ verbunden hatten. Sie gehören dem 1999 gegründeten Vokalensemble mit Sitz in Weimar an, das sich vor allem der historischen Aufführungspraxis und Alter Musik widmet. Michael Hofstetters Aufgabe war es wieder, die Philharmoniker in Spieltechnik und Spielstilistik für das Programm fit zu machen, wobei ihm ein paar Stars der Barockszene halfen. Der englische Violinist Jonathon Stone gehörte dazu. Er bekam die Rolle des Konzertmeisters. Als Lautenist kam Sören Leupold, der vielgesuchte Spezialist. Seine Theorbe bestimmte das Klangbild um die Concertino-Spieler. Die sensiblen Klangeffekte durch Cembalo, Portativ und Fagott machten den Klang dieser Zeit aus, wie auch die beiden tiefen Streicher, die zwei Celli und zwei Contrabässe.

Im Kern besaß das Programm Chorstücke aus Werken von Johann Sebastian Bach, zwei aus Kantaten und drei aus unterschiedlichen Teilen des Weihnachtsoratoriums. Schien es oberflächlich ein „Best of“ bekannter Bachchoräle zu sein, zeigte sich durchaus ein sinnvoller inhaltlicher Bogen. Er begann mit Luthers Adventslied „Nun komm der Heiden Heiland“, das Bach in seiner gleichnamigen Kantate verarbeitete, führte über Partien aus dem Weihnachtsoratorium zu dem schon ins Österliche verweisende Bekenntnis „Jesu bleibet meine Freude“ (aus der Kantate der „Herz und Mund und Tat und Leben“). Auch die Ausschnitte aus dem Weihnachtsoratorium waren in nuce eine geschlossene Weihnachtserzählung, an deren Anfang „Brich an, o schönes Morgenlicht“ stand. Es folgten die bekannten Choräle „Wie soll ich dich empfangen“ und „Ich steh an deiner Krippen hier“.

Zwischen die Choräle waren Concerti eingefügt, also reine Instrumentalstücke, die das barocke Musizieren prägten. Anfangs durfte Franceso Manfredinis Concerto grosso „Pastorale per il santissimo“ nicht fehlen, während die folgenden Werke mehr der Darbietung barocker Musizierlust dienten. Großartig präsentierten sie zwei Concerti von Antonio Vivaldi, das erste ein übersprudelndes, zugleich feinsinniges Werk für zwei Violoncelli. Virtuos boten es Nikolei Schneider und Fabrizio Scilla, beide Solo-Cellisten aus dem Orchester. Dem folgte ein Concerto für Laute und zwei Violinen. Hier zeigte Sören Leupold die erstaunliche Klangfülle der großen Laute, die mühelos die MuK füllte. Die Violinen spielten Jonathon Stone und Oliver Kipp, der Stimmführer der zweiten Violinen. Ein Concerto grosso von Georg Friedrich Händel beschloss die Folge der Instrumentalstücke. Hofstetter wählte vor allem hier sehr gegensätzliche Tempi und betonte den Klangwechsel von Concertino, der Sologruppe, und dem Tutti, dem Ripieno. Rasant beschloss das finale Allegro, dessen Hurtigkeit eher die Kennzeichnung „prestissimo“ verdient hätte, den Bogen, bevor Bach wieder das Wort bekam. Hier allerdings verwunderte ein sehr getragenes Singen, das dem eigentlich doch zuversichtlichen Charakter weniger Ausdruck gab, zumal Bach ihm auch durch den Gigue-Charakter einen leichteren, tänzerischen Charakter gegeben hatte.

Nach dem großen Beifall wurden die Zuhörer mit dem alten „Es ist ein Ros entsprungen“ in dem so klangvollen Prätorius-Satz als Zugabe in die Weihnachtszeit entlassen.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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